Ein charmanter Brasilianer und ein Hundertstel-Krimi: Das war der Slalom von Adelboden
Die Bühne schien gerade gross genug zu sein für Lucas Pinheiro Braathen. Der Norweger im brasilianischen Skidress schwang im Zielraum ab, stellte sich vor die mächtige Tribüne, schickte Küsschen ins Publikum und verneigte sich genüsslich. Braathen fuhr im 1. Lauf auf den 5. Zwischenrang. Wenig später bekam er ein Mikrofon in die Hand gedrückt. Er sagte: «Grüezi Adelboden, wie geht’s? Es fühlt sich so verdammt gut an, zurück zu sein.» Vor zwei Jahren war er letztmals da. Und damals gewann er den Slalom.
Während Pinheiro Braathen durch den Stangenwald tanzte, fehlte dem Schweizer Team im 1. Lauf die Leichtigkeit. Loïc Meillard, der aktuell grösste Hoffnungsträger von Swiss Ski im Slalom, schied im 1. Durchgang aus. Bei der Einfahrt in den Steilhang wurde ihm eine Linkskurve zum Verhängnis. Der Innenski griff zu früh, der Einfädler kam prompt. «Es tut weh, es ist sehr schade. Aber die Einfädler gehören nun mal zu dieser Disziplin», sagte er.
Die rote Startnummer und die feiernde Menschenmasse konnten den Neuenburger nicht beflügeln. Er sagte: «Es lag nicht an der Kulisse. Im Gegenteil, es ist sehr schön, wenn der Skisport so gefeiert wird.» Meillard war nicht der einzige Ausfall im Schweizer Team. Ramon Zenhäusern war die Verunsicherung richtiggehend anzusehen. Zuerst konnte er sich nur mit etwas Glück in der Spur halten, dann stürzte er noch vor dem Zielhang. Zum vierten Mal in Folge erreichte er den 2. Durchgang nicht.
Rochat den Tränen nahe
Das Chuenisbärgli lockte prominente Namen aus der Komfortzone. Der Norweger Atle Lie Mc Grath, der in dieser Saison schon dreimal auf dem Podest stand, schaffte es ebenfalls nicht ins Ziel. McGrath war im Vorjahr Zweiter. Wie schwierig die Aufgabe tatsächlich ist, beschrieb Daniel Yule im Vorfeld. Er sagte, wahrscheinlich würde höchstens Marcel Hirscher diesen Hang einfach finden. «Es sind kaum zwei Schwünge gleich, es gibt so viele verschiedene Passagen, einmal musst zu pushen, einmal musst du taktisch fahren.»
Yule schien im ersten Lauf eine gute Balance gefunden zu haben. Als bester Schweizer klassierte er sich auf Zwischenrang 10, der Rückstand auf die Top 3 betrug allerdings bereits eine Sekunde. Für den zweiten Lauf qualifizierten sich auch Tanguy Nef, Luca Aerni und Marc Rochat.
Nach fünf Nullern in Folge strebte Marc Rochat ein erstes Erfolgserlebnis an. Was er zeigte, war ein eindrucksvoller Befreiungsschlag. Dank einem starken 2. Lauf landete er auf dem 10. Schlussrang. Es ist eine bemerkenswerte Leistung. Denn die Sicht war wegen des dichten Nebels miserabel im zweiten Lauf. Und sein Selbstvertrauen war praktisch inexistent.
Nach einem emotionalen TV-Interview, bei dem ihm fast die Tränen kamen, sagte Rochat: «Ihr wisst nicht, wie tief unten ich war vor diesem Wochenende. Ich hatte viel erwartet von dieser Saison. Und ich hatte nur negative Rennen bisher.» Er habe einen Lauf «mit Charakter» gezeigt. «Darauf kann ich aufbauen, schauen wir Ende Monat wo ich stehe», sagte er. Rochat kriegt noch mehrere Möglichkeiten in den nächsten Wochen, um das Vertrauen zu stärken. Im Januar stehen noch drei Slaloms (Wengen, Kitzbühel, Schladming) auf dem Programm.
Der Sieger entschuldigt sich
Bester Schweizer wurde schliesslich Tanguy Nef auf Rang 8. «Es war so schwierig im 2. Lauf, du siehst nur die kommenden drei Tore», sagte er. Zur Rennhälfte belegte er noch Rang 20. Doch dann habe er den Ski gewechselt und deutlich mehr attackiert. «Ich habe schon bei der Einfahrt zum Zielhang das Publikum gehört. Trotzdem konnte ich voll fokussieren. Früher ist mir das nicht immer gelungen.» Die Top 10 verpasste Daniel Yule. Er fiel auf den 12. Platz zurück. Der vierte Schweizer in den Punkterängen war Luca Aerni auf Rang 20.
Die Entscheidung an der Spitze war so knapp wie noch nie in der laufenden Saison. Zwei Hundertstel trennten den Sieger Clément Noël vom zweitplatzierten Lucas Pinheiro Braathen. Der Norweger Henrik Kristoffersen hatte als Drittplatzierter 14 Hundertstel Rückstand auf den Sieger. Eine Enttäuschung setzte es für den Österreicher Manuel Feller ab. Der Halbzeitführende schied im 2. Durchgang aus.
Nach den Slaloms von Levi und Gurgl triumphierte Noël bereits zum dritten Mal in diesem Winter. In Adelboden lief es in den letzten Jahr nicht nach Wunsch. «Klar, ich wurde 2019 Zweiter. Aber seither hatte ich immer Mühe hier», sagte er. An die 24’000 Fans richtete er auch noch entschuldigende Worte. «Ich weiss, ihr seid heute hierhergekommen, um den Riesenslalom zu sehen. Sorry dafür. Aber ich hoffe, ihr habt die Show trotzdem genossen.»
Nimmt man den Lärm auf den Tribünen als Massstab, war Pinheiro Braathen zumindest der heimliche Sieger dieses Rennen. «Adelboden, ich liebe dich», sagte er abschliessend. Seinem Charme konnte sich Adelboden nicht entziehen.