Rücktrittsforderung an Amherd: Die SVP bricht das Tabu – das sind die Hintergründe
Es war eine Blamage der besonderen Art für Armeechef Thomas Süssli und Markus Mäder, Staatssekretär für Sicherheit: Zuerst durften die beiden Kaderleute des Verteidigungsdepartements in Bad Horn dem Kader der SVP ihren Blick auf die Sicherheit der Schweiz darlegen. Um wenig später festzustellen, dass diese Partei in einer Medienmitteilung den Rücktritt von Verteidigungsministerin Viola Amherd fordert.
Mäder und Süssli hatten wohl gehofft, der neutralitätskritischen SVP eine Annäherung an die Nato schmackhaft zu machen. Stattdessen wurden ihre Referate zu Beweismitteln, als die SVP-Elite der Mitte-Bundesrätin den Prozess machte. Schliesslich habe Süssli selbst eingeräumt, um die Armee sei es schlecht bestellt.
«Abtreten, Frau Bundesrätin Amherd»: Selbst SVP-Fraktionsmitglieder zeigen sich erstaunt ob der Forderung der Parteispitze. Denn inhaltlich ist sie einigermassen kühn. Viele der zugegeben zahlreichen Verfehlungen, die das VBS in den vergangenen Jahren produziert hat, wurzeln in jenen Jahren, in denen SVP-Magistraten wie Ogi, Schmid, Maurer oder Parmelin das Sagen hatten im Departement. Spesenskandale, Beschaffungsflops und drohende Fähigkeitslücken sind nur einige der Baustellen, deren Verantwortung sich die SVP-Bundesräte weitergaben.
Warum also bläst die SVP zum Angriff gegen Amherd? Selbst alt Bundesrat Alain Berset, bei der SVP verhasst für Massnahmen gegen die Corona-Pandemie, wurde nicht zum Ziel einer solch pauschalen Attacke. Eine unverhohlene Rücktrittsforderung einer Regierungspartei gegen ein Bundesratsmitglied ist ein Tabubruch.
Drei Umstände erklären, wie es dazu kam. Der erste Grund ist im Ausland zu suchen: Europaweit verschärfte sich in den vergangenen Monaten der Ton der rechtsnationalen Parteien. In Österreich forderte die FPÖ den Rücktritt von Regierungschef Karl Nehammer, in Deutschland die AfD jenen von Kanzler Olaf Scholz. Beiden Parteien gereicht ihre Regierungsskepsis zum Vorteil. Die SVP stellt keine Ausnahme dar – die eigene Regierungsverantwortung und die Oppositionsrhetorik waren noch nie ein Widerspruch für die Partei.
Der zweite Grund ist innenpolitisch: Schon lange ranken sich Rücktrittsgerüchte um Amherd; gerade wieder feiern diese mit dem angekündigten Abschied von Gerhard Pfister aus dem Parteipräsidium Urständ. Kommt es dazu, was viele Politauguren für dieses Jahr erwarten, wird sich die SVP den Abgang Amherds auf die Fahnen schreiben.
Die letzte Bewandtnis findet sich im Inneren der Partei, genauer im vergangenen Abstimmungsjahr. Die 13. AHV, das Stromgesetz und die Vereinheitlichung der Gesundheitskosten haben die Parteibasis entzweit und die Fraktion von der Parteispitze entfremdet. Nun schwört sich die SVP auf ihre Kernthemen ein, um die Reihen wieder zu schliessen: Migration und Neutralität. Sowohl die Neutralitätsinitiative wie auch die Initiative gegen die 10-Millionen-Schweiz harren ihrer Bearbeitung durch das Parlament. Und in der Europadiskussion hat die SVP vorsorglich die Hellebarden hervorgekramt. Viel steht auf dem Spiel, wenn sich die Legislatur ihrer Halbzeit nähert.
Kommunikativ hat die SVP den Ton für das Politjahr 2025 schon einmal gesetzt. Politisch relevant ist die Forderung nicht: Noch immer kennt die Schweiz kein Impeachment-Verfahren, Neuwahlen wird es nicht geben. Und wenn Amherd dann aus freien Stücken ihren Rücktritt verkündet, wird selbst die SVP beifällig klatschen. Man darf einzig gespannt sein, ob angesichts der zunehmenden Bedeutung der Sicherheitspolitik die SVP bei der nächsten Departementsrochade ihren Anspruch auf das VBS wieder geltend macht – oder ob sie es bei martialischen Medienmitteilungen bewenden lässt.