600 Franken Busse für verpasste Pausen? Ein Chauffeur wehrt sich vor Gericht
Vor dem Bezirksgericht Zofingen sitzt ein älterer Mann mit grauem Schnauz und wartet auf Gerechtigkeit. Unablässig wackelt er mit dem Fuss, mal verschränkt er enerviert die Arme, dann schüttelt er genervt den Kopf. Er ärgert sich. Über seinen Fahrtenschreiber, die Polizei und vor allem über den Staat. «Was das alles kostet», wird er später sagen, entnervt lachen und die Hände verwerfen.
Was das alles kostet, steht auf dem Strafbefehl in seiner Mappe, in der er wenig später vor dem Richter kramt. In ihr hat er sämtliche Korrespondenz zu seinem Fall abgelegt. 1100 Franken sind es insgesamt: Sie setzen sich zusammen aus der Strafbefehlsgebühr von 500 Franken und einer Busse von 600 Franken.
Verstösse gegen die Chauffeurverordnung
Auf dem Strafbefehl steht auch, was die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm dem pensionierten Chauffeur vorwirft: mehrfache Widerhandlung gegen die Chauffeurverordnung. Mit dieser regelt der Bund die Arbeitszeiten und Ruhepausen all jener, die berufsmässig hinter dem Steuer sitzen. Gegen diese Regelungen soll der pensionierte Chauffeur an zwei Tagen im Juli 2023 verstossen haben: Die vorgeschriebene Lenkpause, die Arbeitspause von 45 Minuten, die Arbeitspause nach sechs Stunden – alle nicht eingehalten.
«Ja, das ist auf den ersten Blick schon richtig so», sagt der Beschuldigte vor dem Gerichtspräsidenten. Und doch seien die Vorwürfe falsch. Mehrfach habe er versucht, seine Karte im Fahrtenschreiber einzulesen, sagt der Chauffeur, der seit seiner Pension als Springer gelegentlich Fahrten für ein lokales Transportunternehmen übernimmt. Regelmässig kam eine Fehlermeldung. Die Karte funktionierte nicht. «Aber ich habe meine Pausen eingehalten», sagt der Beschuldigte nun. «Ich weiss, das ist schwierig zu beweisen. Doch ich kann es.»
Seine Anspannung scheint mit dem Betreten des Gerichtssaals wie abgefallen. Sein Fuss ist nun ruhig, die Arme liegen offen auf dem Tisch. Vielleicht liegt es daran, dass er sich im Recht sieht. Er zückt einen Ausdruck aus seiner Mappe und schreitet zum Richterpult. Das Beweisstück, das ihn entlasten soll: Eine Quittung von 5.40 Franken, die ihm die Busse ersparen soll.
In Rotkreuz habe er nach einer Auslieferung die vorgeschriebene Pause gemacht, auch wenn dies der Fahrtenschreiber nicht registrierte. In einer Betriebskantine habe er ein Gipfeli und einen Kaffee bestellt, erzählt der Beschuldigte. Wie immer wollte er bar bezahlen. Doch die Kantine akzeptierte nur Kartenzahlung. Also zückte er die Kreditkarte statt die Zehnernote. War es das Glück des ehemaligen Chauffeurs?
«Isch afach blöd gange»
Darüber muss nun der Richter nach dem Schlusswort des Beschuldigten («Ich will einen Freispruch, isch afach blöd gange») hinter verschlossenen Türen entscheiden. Und im Gang zeigt sich der ehemalige Chauffeur wieder enerviert über die Polizei, das Rechtssystem, den Staat und überhaupt.
«Und überhaupt: Die Kreditkartenabrechnung habe ich bereits der Polizei gezeigt. Vergeblich», sagt der Beschuldigte. Den ganzen Aufwand hätte er ja nachvollziehen können, wenn er vorbestraft gewesen wäre. «Aber so? Das verursacht doch nur unnötige Kosten.» Sollte er die 600 Franken Busse bezahlen müssen, so will er die Kosten noch ein wenig in die Höhe treiben. Der ehemalige Chauffeur kündigt an, die Ersatzfreiheitsstrafe von sechs Tagen anzutreten. Es wäre seine Rache am System. Denn die Kosten pro Insasse und Tag liegen deutlich höher, als die Busse einbringen würde.
Doch das System hat Einsicht. Der Richter spricht den Beschuldigten weitgehend frei. «Es gibt ein deutliches Indiz, dass die Aufzeichnung fehlerhaft war.» Nur bei einem weiteren Vorwurf, wonach der Beschuldigte die geforderte Pause nicht eingehalten hat, erfolgt ein Schuldspruch. Hier sieht das Gericht keine entlastenden Beweise. Der Richter senkt die Busse auf 200 Franken. Tritt der Beschuldigte stattdessen die Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen an? «Das weiss ich noch nicht», sagt der ehemalige Chauffeur vor dem Gericht und schreitet beschwingt von dannen.