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Sogar die Bundesrätin tanzt: Odermatt und von Allmen bescheren der Schweiz einen Weltrekord – der Chef ordnet den Coup ein

Hintereinander rasen Franjo von Allmen und Marco Odermatt die längste Abfahrtsstrecke des Ski-Weltcups hinunter - und begeistern die 40'000 Fans mit ihrem Doppelsieg. Es ist der bisherige Höhepunkt der beispiellosen Schweizer Dominanz in den Speed-Disziplinen.

Es ist 13.27 Uhr, als der diesjährige Lauberhorn-Samstag auf seinen Höhepunkt zusteuert. Franjo von Allmen stürzt sich aus dem Starthaus und schwingt knapp 2 Minuten und 23 Sekunden später im Ziel ab. Bestzeit vor dem bis dato lange führenden Slowenen Miha Hrobat – und die Frage: Gewinnt der Lokalmatador aus dem benachbarten Simmental nach seinem Super-G-Triumph am Vortag tatsächlich auch gleich noch die Abfahrt? Die Antwort folgt mit dem nächsten Fahrer – und lautet «Nein». Weil Marco Odermatt, im Super-G wegen der falschen Materialwahl «nur» Siebter, im Stil eines grossen Champions auf die Enttäuschung vom Vortag reagiert. Er nimmt von Allmen, der an diesem Wochenende wohl am Limit seines aktuellen Könnens die Piste runterrast, ganze vier Zehntelsekunden ab. Und sichert sich mit einer Fahrt nahe der Perfektion den dritten Abfahrtssieg in Wengen. «This is my house!», schreit Odermatt im Ziel – «das ist mein Haus». Aus Wut wird innert 24 Stunden pure Freude.

Mehr noch: In der 95-jährigen Geschichte der Lauberhorn-Rennen ist noch kein Fahrer schneller als Odermatts 2:22.58 Minuten gefahren. Gleich elf (!) Athleten brechen heuer den 1997 vom Italiener Kristian Ghedina aufgestellten Streckenrekord, was mit Sicherheit auch ein Verdienst der hervorragend präparierten Piste ist.

Die Bundesrätin tanzt nach dem Schweizer Doppelsieg

Im Zielstadion sorgt das Publikum nach Odermatts Zielankunft für ohrenbetäubenden Lärm. Es halten sich hier nur ein Bruchteil der insgesamt rund 40’000 Menschen auf, die insgesamt aus dem Unterland an die Strecke gepilgert sind. Das ist Rekord in der Geschichte der Lauberhorn-Rennen und bringt die Organisation an den Anschlag. Am Samstagmorgen beträgt die Wartezeit am Bahnhof Lauterbrunnen zeitweise über drei Stunden, nicht alle schaffen es rechtzeitig hoch. Obwohl das Rennen 15 Minuten später beginnt als geplant. Grund dafür ist der sogenannte «Guggiföhn», der in der Nacht auf Samstag mit über 140 Kilometern pro Stunde über den oberen Streckenteil bis zum Hundschopf pfeift und für Schäden an der Infrastruktur und auf der Piste sorgt.

Weil erst die Bahnlinie auf die Kleine Scheidegg vom Schnee befreit werden muss, können die Aufräumarbeiten lange nicht beginnen. Als kurz vor Mittag die Freigabe für ein Rennen vom Originalstart da ist, gibt OK-Chef Urs Näpflin zu, dass der Event am seidenen Faden hing. Lange sei nicht klar gewesen, ob die orkanartigen Winde rechtzeitig abflachen. 600 Helferinnen und Helfer sind auf der längsten Abfahrtspiste der Welt (4,5 Kilometer) in den frühen Morgenstunden mindestens genauso gefordert wie die 54 gestarteten Fahrer danach.

Rösti sorgt für i-Tüpfelchen auf nächsten Schweizer Teameffort

Doch zurück zum Duell Odermatt – von Allmen, das die Fans entzückt – und andere einfach nur staunen lässt. «Gigantisch», findet es Felix Neureuther. Für den Deutschen, in seiner Aktivzeit einer der besten Techniker im Skizirkus, sind die Abfahrer «die Könige der Pisten. Was die leisten, wird zu wenig gewürdigt».  Derweil herzen sich Odermatt und von Allmen immer wieder in der Leaderbox, geflasht von ihren Husarenritten, an die nach ihnen kein Fahrer mehr auch nur annähernd herankommt. Auch Lars Rösti nicht, der mit gut einer Sekunde Rückstand Achter wird. Aber weil Rösti erst mit Startnummer 37 ins Rennen geht, ist seine Leistung auf der immer weicheren und dadurch langsamer werdenden Piste nicht hoch genug einzuschätzen. Röstis Fahrt ist das i-Tüpfelchen auf die nächste sackstarke Schweizer Darbietung in einem Abfahrtsrennen.

Während die angereiste Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider ihre Freude bei der Siegerehrung mit einem Tänzchen zum Ausdruck bringt, versucht sich Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann im Zielraum an einer Einordnung der Schweizer Dominanz. Vier Doppelsiege in den bis dahin vier Abfahrten der Saison, das ist Weltrekord. Gemäss Lehmann werden wir aktuell Zeugen «einer der erfolgreichsten Phasen der Schweizer Skigeschichte».

Der Aargauer lobt die Arbeit der Menschen hinter den Athleten, Männer-Cheftrainer Tom Stauffer nennt er ein «Genie» und er verweist auf die personelle Kontinuität auf den wichtigen Positionen. Es werde, so Lehmann, der Moment kommen, in dem die Schweizer von der Erfolgswelle runterfallen. Nicht nur im Sport, auch in der Wirtschaft habe jeder Zyklus ein Ablaufdatum. Aber zwischen den Zeilen lässt er durchblicken, dass es bis dahin auch noch besser werden könne. Dank der beispiellosen Harmonie innerhalb des Teams, das alle zu Höchstleistungen zu antreibe. Mit Ausnahmekönner Marco Odermatt an der Spitze, der seine Landsmänner mit seinem Wissen unterstütze – statt dieses für sich zu behalten.

Das Geburtsstunde des neuen Duells um die weltweite Vorherrschaft?

Energie aus Harmonie. Das ist die aktuelle Erfolgsformel. Lehmann erzählt von den goldenen Achtzigerjahren, als er als junger Athlet in ein Speedteam stiess, das anders funktionierte: Energie durch Reibung. Der damalige Cheftrainer Karl Frehsner habe das Motto «alle gegen Peter Müller» provoziert – dem eigenwilligen Müller hinter sich zu lassen, sei damals für den Rest des Teams der Antrieb gewesen.

Damals dominierten die Schweizer über Jahre hinweg die Speed-Disziplinen. So wie nun in dieser Saison wieder. Nach dem Wochenende am Lauberhorn deutet viel darauf hin, dass das Duell zwischen Marco Odermatt und Franjo von Allmen keines nur um die Vormachtstellung im Schweizer Team bleiben wird, sondern um jene im gesamten Fahrerfeld der Speed-Disziplinen.

Marco Odermatt macht in Wengen den Hattrick perfekt. Er gewinnt die dritte Lauberhornabfahrt in Folge.
Bild: Peter Klaunzer / EPA

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