Und jetzt zaubern sie auch noch: Schweizer Nati begeistert beim höchsten WM-Sieg seit 30 Jahren
Ein Handball-Schwergewicht ist Tunesien zwar nicht. Aber in der Weltrangliste trotzdem um eine Position besser klassiert als die Schweiz (24). Und sowieso: Einfach so nebenbei gewinnt man gegen die Tunesier nicht. Also nicht, wenn man die Schweiz ist, die ebenfalls nicht zu den Mächtigen dieses Sports nicht. Und erst recht nicht mit elf Toren Unterschied.
37:26. So hoch hat die Nati in den letzten 30 Jahren kein WM-Spiel gewonnen. Dabei begleiten sie viele unbekannte Faktoren in diese erste Hauptrunden-Partie. Da ist einerseits ein unbekannter, unbequemer Gegner. Und andererseits die Befürchtung eines Druckabfalls im Team der Schweizer nach dem grossen Sieg gegen Polen und dem Erreichen der Hauptrunde, was man als Zielvorgabe ausgegeben hat. Und: Als die Schweizer in Herning in die 15’000-Zuschauer-Arena einlaufen, ist dies praktisch leer. Das hilft auch nicht, um Spannung aufzubauen.
Klar, die Schweiz gegen Tunesien an einem Dienstagnachmittag in Dänemark zieht per se nicht das grosse Publikum an. Doch ein paar Schweizer mehr wären vielleicht schon nach Herning gereist, wenn sie denn an Tickets gekommen wären. Das Problem bei dieser Geschichte: An der WM werden nur Tagestickets verkauft. Und weil um 20.30 Uhr ein absoluter Klassiker auf dem Programm steht, der Gastgeber gegen Deutschland antritt, ist die Halle für diesen Dienstag quasi ausverkauft. Die handballverrückten Dänen kommen erst nach dem Feierabend in die Halle, als die Schweizer ihren Tanz längst beendet haben.
Dass die Schweizer in einer ausverkauften aber leeren Arena spielen müssen, bringt sie nicht aus dem Konzept. Ebenso wenig bekunden sie Probleme, den Fokus zu wahren und mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu agieren.
Trainer Andy Schmid sagt dazu: «Es ist erneut ein grosser Tag für den Schweizer Handball. Denn nach einem Triumph wie wir ihn gegen Polen gefeiert haben, ist es nicht einfach, die nötige Energie wieder zu entwickeln. Ich bin wahnsinnig glücklich, dass ich Trainer dieser Jungs bin, die alle das Herz am rechten Fleck haben.»
Wenn sich Konkurrenten gegenseitig unterstützen
Wie gut das Innenleben dieser Mannschaft ist, unterstreicht eine Aktion aus der Schlussphase in der Partie gegen Tunesien. Luka Maros kassiert für ein Foul eine Strafe. Als er Platz nimmt, steht Lenny Rubin am anderen Ende der Ersatzbank auf, geht zu Maros rüber, reicht ihm eine Trinkflasche und klopft ihm aufmunternd auf die Schulter. Dazu muss man wissen: Rubin und Maros spielen auf der gleichen Position, sind Konkurrenten.
Schmid ist derzeit wahrlich ein glücklicher Trainer, weil er von seinem jungen Team auf und neben dem Platz so unfassbar viel zurückbekommt. Aber der Trainer selbst trägt auch einen grossen Anteil. Der 41-Jährige coacht famos, er ist mutig, flexibel, innovativ, entwickelt die Equipe ständig weiter, er infiziert die Spieler mit seinem enormen Ehrgeiz, er hält das Leistungsprinzip hoch und führt das Team trotzdem mit so viel Sozialkompetenz, dass selbst jene Spieler brillieren, die in einem Loch zu versinken drohten.
Zwei Auferstehungen und drei Spieler, die einfach weiter marschieren
Obwohl die Schweiz in den bisherigen drei Gruppenspielen mehrheitlich überzeugte, gaben ein paar Spieler Rätsel auf: Luka Maros und Samuel Zehnder. Maros, 30-jährig, wird an der WM sein 80. Länderspiel bestreiten. Doch in den drei Gruppenspielen wurde er seiner Rolle als kaltblütiger Shooter nie gerecht. Er schien geknickt. Doch Schmid gab ihm immer wieder eine Chance. Gegen Tunesien erzielt Maros sieben Treffer.
Samuel Zehnder spielt schon die dritte Saison in der Bundesliga. Obwohl erst 24-jährig, gehört er schon zu den routinierteren im Team. Doch in den ersten drei Partien ist seine Trefferquote besorgniserregend tief. Gegen Tunesien, da trifft er sechsmal.
Andere Spieler funktionierten schon in der Gruppenphase und tun dies auch bei der Tunesien-Gala: Gino Steenaerts etwa. Erst 19-jährig, aber erstaunlich abgezockt und sechsmal erfolgreich gegen Tunesien.
Oder Dimitrij Küttel, den viele schon abgeschrieben haben, weil er im letzten Jahr nie für die Nati aufgeboten wurde. Gegen Tunesien brilliert der Mann, der vor vier Jahren den Krebs besiegt hat, mit zauberhaften Zuspielen.
Und natürlich Lenny Rubin: Vor dem Turnier immer wieder mal als phlegmatisch kritisiert, kommt er an der WM so richtig aus sich heraus. Vor der Partie gegen Tunesien liegt er in der WM-Skorerliste mit 20 Treffern und 11 Assists auf Platz 6. In der Wertung «Ballgewinne» mit sechs auf Platz 1. Das sind Werte, wie sie Weltklassespieler aufweisen.