Martin Pfister hat überraschend gute Chancen, Bundesrat zu werden – wegen des Anti-Ritter-Reflexes
In der Öffentlichkeit gilt Nationalrat und Bauernpräsident Markus Ritter (57) als klarer Favorit, am 12. März als Nachfolger von Viola Amherd in den Bundesrat gewählt zu werden.
Nur: Hinter vorgehaltener Hand sind im Bundeshaus viele überzeugt, die Wahl zwischen Ritter und dem Zuger Regierungsrat Martin Pfister (61) werde knapp. SVP-Präsident Marcel Dettling sagt es offen: «Ich glaube, dass es eine enge Wahl gibt. Es geht um jede Stimme.»
Das überrascht – und hängt mit einem ausgeprägten Anti-Ritter-Reflex im Parlament zusammen. Das aggressive Lobbying auch mit harten Bandagen in der Vergangenheit holt den Bauernpräsidenten ein. Es hat zu vielen Verletzungen geführt, die öffentlich kaum thematisiert werden. Dazu kommen aktuell die Aussagen im «Tages-Anzeiger» über Städter, die zu wenig arbeiten («Vielleicht denken sie, 45 oder 50 Stunden sind genug»), und an seiner Medienkonferenz über Frauen, die nicht am Verteidigungsdepartement interessiert seien.
Martin Pfister wirkt da wie ein Gegenentwurf zu Markus Ritter – als ruhiger und unaufgeregter Regierungs- und Konsenspolitiker, der nicht vorprescht, mit Geduld arbeitet und sich selbst als liberaler Wirtschaftspolitiker mit sozialer Ader bezeichnet.
Vieles deutet auf eine Links-rechts-Wahl hin, obwohl beide Politiker dem Mitte-rechts-Spektrum zugeordnet werden. Recherchen in den Fraktionen zeigen folgendes Bild:
1. Die SVP als Heimbasis von Markus Ritter
Die SVP ist mit 74 Stimmen klar grösste Fraktion im Bundeshaus. Davon sind 16 Landwirte, mehr als in jeder anderen Fraktion. Damit wird die SVP für Markus Ritter zur wahren Heimbasis – und nicht die Mitte, der er politisch entstammt.
Bei der SVP hat Ritter sein grösstes Stimmenpotenzial. Es umfasst 50 bis 69 Stimmen, eine ganz klare Mehrheit. Ritter scheint mit gewissen Aussagen auch die SVP anzuvisieren, etwa wenn er im «Tages-Anzeiger» sagt, der Mechanismus zur Beilegung von Konflikten liege ihm beim neuen bilateralen Vertrag mit der EU «wie ein Stein im Bauch».
In der SVP sind viele beeindruckt von Ritters Gestaltungswillen und seinen strategischen Fähigkeiten. Dazu kommt, dass er die SVP oft als Anker brauchte für seine politischen Deals. Der SVP gefällt auch die konservative Seite Ritters. Wie er auf Radio RTS bestätigte, gehört er einer religiös-katholischen Gruppierung an.
Regierungsrat Martin Pfister kommt auf ein Potenzial von 5 bis 24 Stimmen. Dieses findet er vor allem im wirtschaftsliberalen Teil der Partei, die keinen weiteren Bauernvertreter im Bundesrat will. Pfister selbst sagte an seiner Medienkonferenz, er könne auch bei der SVP Stimmen holen. Dass die St.Galler Ständerätin Esther Friedli in der SVP als Nachfolgerin von Guy Parmelin zur Diskussion steht, könnte ihm helfen. Drei St.Galler wählt das Parlament nicht in die Regierung. Die Parteispitze dürfte aber versuchen, eine möglichst grosse Geschlossenheit für Ritter zu erreichen.
2. Die FDP und die Zürich-Zug-Linie
In der FDP sind viele unzufrieden mit dem Mitte-Ticket. Es löse «keine Begeisterungsstürme» aus, sagt Nationalrat Christian Wasserfallen. Dennoch haben die liberalen Wirtschaftspolitiker aus dem Grossraum Zürich aufgehorcht, als sie von Pfisters Kandidatur hörten. Der – liberale – Zuger Regierungsrat ist für sie als Bestandteil des national zentralen Wirtschaftsraums Zürich-Zug ein Begriff – und er liegt ihnen näher als der konservative Bauernvertreter Ritter aus der Ostschweiz.
Dass Pfister aus dem Kanton Zug stammt, hat für sie doppeltes Gewicht: Einerseits ist Zug im nationalen Finanzausgleich ein Geberkanton, andererseits war die Zentralschweiz seit 22 Jahren nicht mehr im Bundesrat vertreten. Zudem ist auch in der FDP ein Überdruss zu spüren über das Powerplay, das Ritter in den letzten Jahren für die Bauern spielte. Deshalb glauben Insider, Pfister habe das Potenzial, bis zur Hälfte der 38 FDP-Stimmen zu ergattern.
Die Macht der Bauern ist aber auch beim Freisinn nicht zu unterschätzen. Bis zu einem Drittel der Fraktion hat einen Bezug zur Landwirtschaft. Dazu kommt die Allianz der Landwirtschaft mit den Wirtschaftsverbänden, über die allerdings viele unglücklich sind. Ausserdem könnte die FDP ein sehr machiavellistisches Planspiel in Erwägung ziehen: Sie wählt Ritter in den Bundesrat und verpasst der Mitte damit ein Bauernimage. Das bremst die Mitte in den Städten aus und sichert der FDP den zweiten Bundesratssitz.
3. Die Mitte – eine schwierige Prognose
Ein Handicap hat Martin Pfister bei der Mitte nicht: Er muss nicht erklären, wer er ist. Die Fraktion kennt ihn. Er hat eine jahrzehntelange Erfolgsbilanz in der CVP und Mitte, als Fraktionschef der Mitte des Kantons Zug, als kantonaler CVP-Präsident und als Regierungsrat. Pfister dürfte vor allem bei Befürwortern des neuen Abkommens mit der EU Stimmen machen, bei den Frauen und bei ehemaligen Regierungsvertretern.
Dennoch gilt Ritter in der Mitte-Fraktion als Favorit. Sein Wort hat Gewicht, er ist als begnadeter Netzwerker geschätzt und in der Fraktion hat man die Hoffnung, dass Ritter den SVP-FDP-Viererblock in der Regierung zumindest teilweise eher knacken könnte als Viola Amherd.
Eine Prognose zu den Stimmen ist schwierig für die Mitte. Schätzungen von Insidern driften weit auseinander. Sie reichen von drei Viertel der 46 Mitte-Stimmen für Ritter bis zu drei Viertel für Pfister. Realistischerweise kann er wohl bis zu 50 Prozent der Stimmen holen.
4. Die GLP ist Ritter-unfreundlich
12 Stimmen haben die Grünliberalen – und bis zu drei könnten an Markus Ritter gehen. Damit hat er sein Potenzial in dieser Fraktion aber ausgeschöpft. Für den Rest gilt er als rotes Tuch. Das hat mit seiner passiven Haltung zum CO2-Gesetz zu tun, mit sehr kritischen Äusserungen zur Biodiversität und der positiven Haltung gegenüber Pestiziden, mit der Skepsis gegenüber dem neuen Abkommen mit der EU und mit seiner landwirtschaftlich geprägten Wirtschaftspolitik. Dass Ritter die Arbeitsmoral der Städter in Zweifel zog, verstärkt die Vorbehalte.
Einzelne GLP-Politiker versprechen sich von Ritter, dass er der Armee genauer auf die Finger schauen würde als Pfister. Letzterer hatte gesagt, er kenne Waffenplätze besser als das Bundeshaus, was sich für Grünliberale nicht anhört, als ob er durchgreifen würde. Pfister wird dennoch bei der GLP die klare Mehrheit der Stimmen generieren – weil er als umgänglich gilt und als offen gegenüber dem Abkommen mit der EU.
5. Die SP und die nicht verziehene Geschichte
Die Geschichte wirkt atmosphärisch noch heute nach. Viele Genossen und Genossinnen haben Markus Ritter nicht verziehen, wie er ihren Bundesratskandidaten Jon Pult im Dezember 2023 attackierte. Stein des Anstosses war Pults Tätigkeit als Strategieberater und Verwaltungsrat bei der Kommunikationsagentur Feinheit. Diese führte 2020 bei der Trinkwasserinitiative eine aggressive Negativkampagne gegen den Bauernverband. Dieser sei «mit übelster Propaganda überzogen und durch den Dreck gezogen worden», schimpfte Ritter. Pults Kandidatur blieb dann chancenlos.
SP und Ritter vertragen sich aber auch inhaltlich nicht. Etwa in der Umweltpolitik. Ritter bezeichnet Pestizide für Kartoffelbauern als unverzichtbar, die SP sieht das diametral anders.
Nicht verziehen hat die SP Ritter auch, dass er die «Geld-und-Gülle»-Allianz mit den Wirtschaftsverbänden einging. Damit war er für die SP kein relevanter Partner mehr. Verschiedene Sozialdemokraten befürchten zudem, Ritter werde bei der erstbesten Gelegenheit ins Wirtschaftsdepartement wechseln und sich damit die Landwirtschaft unter den Nagel reissen. Westschweizer Sozialdemokraten lehnen Ritter zudem als zu rechts ab.
Einige wenige vereinzelte SP-Stimmen – bei total 50 Stimmen – scheinen für Ritter das höchste Glück zu sein. Immerhin gibt es Stimmen in der SP, die Ritter durchaus Entgegenkommen attestieren – etwa beim Eigenmietwert. Zudem glauben diese Stimmen, er sei der Einzige, welcher der SVP-FDP-Vierermehrheit im Bundesrat zumindest von Zeit zu Zeit Paroli bieten könne.
Vorläufig verfangen diese Argumente nicht. Die SP habe «konsterniert zur Kenntnis» genommen, sagt Fraktionschefin Samira Marti, «dass uns nun ausschliesslich die zwei Herren vom rechten Rand der Partei präsentiert werden». Das deutet auch die Stimmungslage gegenüber Martin Pfister an. Für die SP haftet ihm der Makel des Steuerdumpingparadieses Zug an. Immerhin betonte Pfister an der Medienkonferenz seine soziale Ader – ein Hinweis wohl an die SP. Nur: Es scheint nicht ausgeschlossen, dass die SP eine Mitte-Politikerin sucht als Gegenkandidatin zu den zwei Männern.
6. Die Grünen – Probleme mit Ritters Umweltpolitik
Bis 2021 hatten Markus Ritter und die Grünen ein gutes Einvernehmen. Das änderte sich 2021 mit der Trinkwasserinitiative. Und als die Bauern die Konzernverantwortungsinitiative nicht wie versprochen unterstützten, kam es zum Bruch. Ritter darf deshalb nicht auf Stimmen der 26 Grünen hoffen.
Drei Gründe sprechen für sie heute gegen Ritter: dass er erstens aus ihrer Sicht den SVP-FDP-Viererblock in der Regierung zu einem Fünferblock ausweiten würde. Zweitens schreckt sie Ritters Isolationskurs als Bauernpräsident bei den Freihandelsabkommen ab. Und drittens existiert ein fast unüberbrückbarer Graben in der Umweltpolitik. Grüne werfen Ritter hier gar Gesprächsverweigerung vor.
Auch die Kandidatur von Martin Pfister begeistert die Grünen nicht. Sie stufen ihn als wirtschaftsliberal und rechts ein. Dennoch empfinden sie ihn als interessante Gegenfigur zu Markus Ritter. Sie hoffen, dass er mit seinem Verständnis für die Globalisierung eher in der Tradition steht von CVP-Bundesräten wie Flavio Cotti, Joseph Deiss, Doris Leuthard und Viola Amherd, die sich für Multilateralismus eingesetzt haben. Und der, betonen die Grünen, sei zentral für die Schweiz.
7. Die Folgerungen aus den Recherchen
Die Recherchen zeigen, dass Markus Ritter bei Grünen, SP und GLP nur vereinzelte Stimmen (5 bis 10) erhalten dürfte. Die ganz grosse Frage ist, wie gut es Pfister gelingt, das beträchtliche Potenzial der 88 Stimmen dieser Parteien zu mobilisieren. Die grosse Gefahr für Pfister sind Leerstimmen von links – weil die Linke generell unzufrieden ist mit dem Mitte-Ticket. Leerstimmen sind letztlich Ritter-Stimmen.
Bei den Bürgerlichen liegt Ritter vorne – allerdings längst nicht so klar, wie zu erwarten war: Aktuell hat Pfister bei der SVP (74 Stimmen) ein Potenzial von 5 bis 24 Stimmen, bei der FDP (38 Stimmen) von bis zu 19 Stimmen und bei der Mitte (46 Stimmen) von bis zu 23 Stimmen.
Martin Pfister hat damit absolut intakte Wahlchancen. Um sein Potenzial zu mobilisieren, wird er allerdings inhaltlich deutlich zulegen müssen. Und er wird sich überlegen müssen, wie er die Linke ins Boot holt. Markus Ritter bleibt mit seiner grossen Erfahrung und Netzwerk der Favorit.