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Der starke Mann schwächelt an der Urne – wie weiter im Krisenherd Kosovo?

Albin Kurti hatte bei seinem Amtsantritt vor vier Jahren umfassende Reformen versprochen, konnte aber vieles davon nicht einlösen. Wenn er nun nach dem Wahlsieg vom Sonntag weiterregieren will, ist ein williger Koalitionspartner noch eines seiner kleineren Probleme.

Der Krisenherd Kosovo wird auf dem europäischen Radar kaum noch wahrgenommen, doch der Konflikt schwelt weiter. 25 Jahre nach Ende des letzten jugoslawischen Zerfallskrieges sind dort noch immer Nato-Truppen stationiert. Auch die Schweiz bleibt weiterhin mit dem rund 200 Armeeangehörige starken Swiss­coy-Kontingentpräsent. Serbien weigert sich nach wie vor, die 2008 einseitig ausgerufene Unabhängigkeit seiner einstigen Provinz mit überwiegend albanischer Bevölkerung anzuerkennen.

Darauf gaben die Kosovaren vergangenen Sonntag bei der Parlamentswahl dieselbe Antwort wie vor vier Jahren: Der amtierende, knapp 50-jährige Regierungschef Albin Kurti errang erneut eine klare Mehrheit. Denn zumindest für seine Anhänger bleibt er der einzige Garant des unabhängigen Staates Kosovo. Kurtis linksnationalistische Bewegung Vetevendosje (VV, «Selbstbestimmung») erhielt laut inoffiziellen Ergebnissen 41,1 Prozent der Stimmen. Die drei stärksten Oppositionsparteien kommen zusammen auf mehr Stimmen, sind aber zu zerstritten, um eine Koalition zu bilden. Bitterer Beigeschmack ist die geringe Wahlbeteiligung von nur 41 Prozent.

Gleichwohl ist Kurtis Machtbasis nach dieser Wahl geschwächt: Er verlor die absolute Mehrheit und muss nun einen Koalitionspartner finden. Bei der Wahl vor vier Jahren hatte die aus einer Bürgerbewegung hervorgegangene Formation des 49-jährigen Kurti noch 50,3 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Der Wahlkommission zufolge kamen am Sonntag die liberale Demokratische Partei (PDK) auf 22,3 Prozent, die bürgerliche Demokratische Liga des Kosovos (LDK) auf 17,8 Prozent und die konservative Allianz für die Zukunft (AAK) auf 7,5 Prozent der Stimmen.

Noch immer im Sold des serbischen Staates

Kosovo ist nach wie vor eines der ärmsten Länder in Europa, seit 2010 ist ein Fünftel der einstmals zwei Millionen Einwohner abgewandert, vor allem junge, gut ausgebildete Leute, die in Kosovo keine Zukunft sehen, dort aber schmerzlich fehlen. Zugleich hatte Kurti den Konfrontationskurs gegen Serbien deutlich verschärft, was wiederum die Beziehungen zum Westen schwer belastet. Seine Regierung liess nach fragwürdigen Lokalwahlen die Bürgermeister in vier Serbengemeinden absetzen und ersetzte sie mit albanischen Amtsträgern; sie verbot serbische Autokennzeichen, schloss serbische Banken und setzte den serbischen Dinar als Währung ausser Kraft.

Folge davon waren die schwersten Konflikte seit Ende des Unabhängigkeitskriegs 1999, bei denen auch Nato-Soldaten verletzt wurden. Doch hatte auch Serbiens Präsident Aleksandar Vucic kräftig nachgeholfen, die Lage eskalieren zu lassen: In Nordkosovo sind Extremisten am Werk, die Konflikte schüren, von Belgrad gesteuert und finanziert werden.

Die überwiegende Mehrheit der rund 50’000 Kosovoserben im Norden will zwar keinen neuen Krieg, aber sie weigert sich auch, Kosovo als ihren Staat anzuerkennen. Ihre Heimat sei Serbien, nicht das «sogenannte» Kosovo. Tausende beziehen ihre Löhne und Renten noch immer vom serbischen Staat.

Die westlichen Schutzmächte nehmen es ihrerseits Kurti übel, dass er die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien blockiert. Die Verhandlungen dazu drehen sich seit rund zehn Jahren im Kreis. Ein zentraler Streitpunkt ist, dass Kurti den serbischen Gemeinden weiterhin die Bildung eines eigenen serbischen Gemeindeverbands verwehrt, was in einem von der EU 2013 initiierten Abkommen vertraglich zugesichert worden war.

Stattdessen will er die von der Belgrader Regierung kontrollierten «serbischen Parallelstrukturen» im Kosovo zerstören, denen er vorwirft, den Norden annektieren zu wollen und damit Kosovo die Überlebensfähigkeit als selbstständigem Land zu nehmen. Wenige Wochen vor der Parlamentswahl liess Kurti im Januar zehn serbische Regionalbüros durch die eigene Polizei schliessen. Offizielle Begründung für diesen Schritt war die «Zerschlagung krimineller Strukturen». Eine richterliche Anordnung besassen Kurtis Polizeieinheiten dafür nicht.

EU blockiert Hilfsgelder für Kosovo

Darum verstärken die EU und neuerdings wieder die USA unter Donald Trump den Druck auf die Regierung Kurti. Manche Experten sehen Kosovo bereits vom Westen isoliert, seit die EU jüngst Unterstützungsgelder von 150 Millionen Euro blockiert hat. Auch die Auflösung von USAID durch die Trump-Regierung dürfte Kosovo hart treffen: In den letzten zwei Jahrzehnten investierte die US-Hilfsorganisation rund eine Milliarde Dollar Aufbauhilfe.

Die Proteste in Serbien gegen Präsident Aleksandar Vucic gehen weiter. Am Montag blockierten Demonstranten in Belgrad eine Autobahn.
Bild: Darko Vojinovic/AP

Obwohl Serbien die Spannungen ebenfalls anheizt und die Grenze zu Kosovo zeitweise sogar mit Militäreinheiten verstärkt, wird aus Brüssel und Washington kaum Druck ausgeübt. Vucic spielt als Präsident der führenden Regionalmacht Serbien perfekt die Rolle des Stabilitätsfaktors und hält damit für den Westen den Krisenherd Balkan unter Kontrolle. Dafür kämpft er jetzt zu Hause mit der immer grösser werdenden Protestbewegung nach dem tragischen Bahnhofsunglück von Novi Sad mit fünfzehn Toten.