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«Brutale Bedingungen» – Geiseln schildern, was sie in der Hamas-Gefangenschaft erlebten

Monatelang Angst, Hunger und Misshandlungen: Nach ihrer Freilassung schildern israelische Geiseln die grausamen Bedingungen, unter denen sie in der Gewalt der Hamas leben mussten.

Nach der Freilassung von drei weiteren Geiseln aus der Gefangenschaft der Hamas am vergangenen Wochenende wurden erschütternde Details über ihre Haftbedingungen bekannt. Ohad Ben Ami (56), Or Levy (34) und Eli Sharabi (52) wurden am Samstag in einem sichtlich schlechten Zustand dem Roten Kreuz übergeben.

Der Bruder von Or Levy berichtet, dass der 34-Jährige «15 Monate lang hungrig, barfuss und in ständiger Angst» leben musste. Einer der Männer verbrachte Berichten zufolge nahezu die gesamte Zeit angekettet in einem dunklen Tunnel. «Erst kurz vor meiner Freilassung nahmen mir meine Entführer die Ketten ab und zwangen mich, wieder laufen zu lernen», schilderte der Befreite nach seiner Rückkehr.

Organversagen und psychische Traumata

Die drei Männer berichteten gemäss derJüdischen Allgemeinen von grausamster Folter durch Hamas-Terroristen. Während der Verhöre seien sie kopfüber aufgehängt, mit erhitzten Objekten verbrannt oder mit Stoffen geknebelt worden, bis sie beinahe erstickten. Nahrung gab es nur selten – verschimmeltes Pitabrot, das sie sich untereinander teilen mussten. Auch Wasser fehlte oft tagelang.

Medizinische Untersuchungen der befreiten Geiseln zeigten extreme Unterernährung, Organversagen und schwerwiegende psychische Traumata. Hagai Levine, ein führender israelischer Medizinprofessor, sprach von «brutalen, unmenschlichen Bedingungen». Er warnte, dass die verbliebenen Geiseln im Gazastreifen in «unmittelbarer Lebensgefahr» seien, und forderte ihre sofortige Freilassung.

Zerstörte Leben und schockierende Verluste

Die Monate in Gefangenschaft haben bei allen Geiseln deutliche Spuren hinterlassen. Ein Angehöriger von Ohad Ben-Ami sagte, der 56-Jährige sehe mindestens zehn Jahre älter aus, als er in Wirklichkeit sei.

Eli Sharabi nach monatelanger Geiselhaft.
Bild: Abdel Kareem Hana / AP

Psychoterror

Jarden Bibas wurde am 1. Februar freigelassen. Auch er hat in der Zeit seiner Geiselhaft massiv an Gewicht und Muskelmasse verloren und über Monate nur selten Tageslicht gesehen. Laut seiner Schwester war er während der Geiselhaft ausserdem ständiger psychischer Folter ausgesetzt.

Einmal zwang die Hamas den Familienvater, ein Video aufzunehmen, direkt nachdem ihm die Entführer mitgeteilt hatten, dass seine Familie bei einem israelischen Luftangriff getötet worden sei.

Jarden Bibas weiss bis heute nicht, ob seine Frau und seine Kinder noch leben. Die Familie hätte eigentlich ebenfalls freikommen sollen. Allerdings sind seine Frau Shiri Silberman Bibas (33) und die beiden kleinen Söhne Ariel (5) und Kfir (2) weiterhin in der Gewalt der Hamas – falls sie noch leben.

Die israelische Armee hat den Tod nicht bestätigtund bezeichnet die Aussage als «grausame Behauptung». Ganz Israel bangt um das Schicksal der Familie. Die kaltblütige Entführung der Kleinkinder ist zum Symbol für die Grausamkeit der Terroristen geworden.

Viele Israelis haben noch Hoffnung für die Familie. In anderen Fällen erwiesen sich die verbreiteten Todesmeldungen der Hamas als falsch: So hiess es etwa, die gefangen gehaltene Soldatin Daniella Gilboa sei bei einem Luftangriff ums Leben gekommen. Aber sie lebt – und ist seit dem 25. Januar wieder frei.

Folter und sexuelle Gewalt

Zusammen mit ihr kamen in einer bizarren Freilassungs-Show auch Liri Albag, Naama Levy und Karina Ariev frei. Die jungen Spähsoldatinnen waren am 7. Oktober von Hamas-Terroristen in Grenznähe entführt worden. Bodycam-Aufnahmen der Terroristen zeigten die 19- und 20-jährigen Soldatinnen damals verletzt, teilweise blutüberströmt.

Naama Levy, Liri Albag, Daniella Gilboa and Karina Ariev.
Bild: Stringer / EPA

477 Tage waren die jungen Frauen ihren Entführern ausgeliefert. Sie berichten von Demütigungen, schwersten Misshandlungen und Folter. Nicht alle Mitgefangenen haben die Torturen überlebt. Sie hätten hilflos mitansehen müssen, wie Mitgefangene an ihren Verletzungen starben oder ermordet wurden.

Einige Frauen seien in verschiedenen Orten im Gazastreifen festgehalten worden, oft ohne Nahrung und unter schlimmsten hygienischen Bedingungen. Einige mussten für ihre Entführer kochen und putzen. Manche Geiseln berichteten auch, bis zu acht Monate isoliert worden zu sein. Ohne Tageslicht und mit fast keinem menschlichen Kontakt. Andere wurden in Gruppen eingekerkert, sie sprachen sich gegenseitig Mut zu.

Naama Levy berichtete wenige Tage nach ihrer Freilassung auf Instagram, sie sei die ersten 50 Tage nach ihrer Entführung allein gewesen. Später war sie mit anderen Geiseln zusammen – Soldatinnen und Zivilisten –, die sich gegenseitig Kraft gaben.

Die im November 2023 freigelassene Amit Soussana wurde von ihren Aufpassern gefoltert, weil sie gestehen sollte, eine Soldatin zu sein. Sie wurde mit Handschellen kopfüber «wie ein Grillhähnchen» an eine Stange gefesselt und geschlagen. Ihre mutige Mitgefangene Liri Albag konnte ihre Entführer davon überzeugen, dass Soussana keine Soldatin war, und rettete ihr so vielleicht das Leben.

Soussana berichtet ausserdem, von einem der Terroristen vergewaltigt worden zu sein: «Es war ein ernster sexueller Angriff mit vorgehaltener Pistole», sagte sie der «New York Times».

«Schwerste Misshandlungen»

Das israelische Gesundheitsministerium legte der UN-Sonderberichterstatterin für Folter, Alice Jill Edwards,im Dezember einen Bericht vor, der die schweren Misshandlungen der von der Hamas entführten israelischen Geiseln beschreibt.

Die Gefangenen seien körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt ausgesetzt. Die Hamas wende Methoden wie Isolationshaft, Hunger, Schlafentzug und absichtliche Nicht-Behandlung von Verletzungen an.

Der Bericht stützt sich auf die Erkenntnisse von Ärztinnen und Ärzten, die mehr als 100 Geiseln behandelten, die entweder freigelassen oder befreit wurden. Unter ihnen waren Männer, Frauen und Kinder. Nahezu alle waren gemäss Bericht in der einen oder anderen Form körperlicher, seelischer und sexueller Gewalt unterworfen.

Die Hamas hat die Foltervorwürfe wiederholt bestritten. Ein von der «New York Times» kontaktierter Sprecher der Hamas wies die Aussagen im vergangenen März als «Konstrukte (israelischer) Geheimdienstoffiziere» zurück.