Sie sind hier: Home > Gerichtsurteil > Sie hat ihr Vermögen einem Internet-Betrüger geschickt: Trotzdem erhält eine Aargauerin keine AHV-Ergänzungsleistungen

Sie hat ihr Vermögen einem Internet-Betrüger geschickt: Trotzdem erhält eine Aargauerin keine AHV-Ergänzungsleistungen

Eine 70-jährige Aargauerin steht ohne nennenswertes Vermögen da, nachdem sie auf einen Internet-Betrüger hereingefallen ist. Ergänzungsleistungen stehen ihr trotzdem keine zu.

Einer 70-jährigen Aargauer Rentnerin ist widerfahren, was erstaunlich vielen Menschen passiert: Ein Betrüger hat ihr im Internet Liebe vorgegaukelt, um an ihr Geld zu kommen. Und sie hat es geschickt. In mehreren Transaktionen hat sie fast ihr ganzes Vermögen – insgesamt eine Viertelmillion Franken – auf verschiedene ausländische Konten überwiesen.

Die Frau wollte nun, da sie ohne nennenswertes Vermögen dastand, Ergänzungsleistungen (EL) zu ihrer AHV beantragen. Die Sozialversicherungsanstalt hat den Antrag zweimal abgelehnt. Daraufhin ist die Rentnerin vors Versicherungsgericht gezogen. Sie machte geltend, dass sie im strafrechtlich relevanten Sinne betrogen worden sei und daher Anspruch auf EL habe.

Nun hat das Versicherungsgericht geurteilt: Nein. Ob sie Opfer eines Betrugs wurde, spiele im Falle der Aargauer Rentnerin keine Rolle. Sie habe grobfahrlässig gehandelt.

Ohne Gegenleistung verschenkt

Dazu muss man wissen: EL kriegt nur, wer ein Vermögen von weniger als 100’000 Franken besitzt. Es mag zwar sein, dass das tatsächliche Vermögen der Frau nun unter dieser Schwelle liegt. Weil sie aber ihr Geld ohne rechtliche Verpflichtung verschenkt und keine Rückzahlung erwartet hat, beurteilt das Gericht dies als sogenanntes Verzichtvermögen. Dieses wird bei den Berechnungen dem Vermögen zugerechnet, als wäre nie darauf verzichtet worden.

Mit anderen Worten: Wer sein Geld verschenkt und darum unter die 100’000-Franken-Vermögensschwelle rutscht, ist selbst schuld.

Ein Verzicht besteht gemäss Gericht dann, wenn von Anfang an damit gerechnet werden muss, dass das geschenkte Geld nicht zurückbezahlt wird. Eine Schenkung sei klar eine Verzichtshandlung.

Im Fall der Rentnerin lässt das Gericht offen, ob sie betrogen worden ist oder nicht. Denn es war, wie aus den Akten hervorgeht, nie von einer Gegenleistung die Rede. Die Rentnerin hätte Betrug nur dann geltend machen können, wenn sie sich dem Risiko, das Geld für immer zu verlieren, nicht bewusst gewesen wäre. Oder wenn sie raffiniert getäuscht worden wäre.

Schadensumme in Millionenhöhe im Aargau

Der Dating-Schwindel ist ein Millionengeschäft. Gemäss der Kriminalstatistik haben Liebesbetrüger allein in den vergangenen vier Jahren mehr als zehn Millionen Franken von Menschen im Aargau ergaunert. Und diese Summe beinhaltet nur die Fälle, welche zur Anzeige gebracht wurden. Die Dunkelziffer dürfte gross sein. Viele Betroffene melden sich nie bei der Polizei, weil sie sich schämen.

Gehen Sie in den sozialen Netzwerken keinen Kontakt mit Menschen ein, die Sie nicht aus dem realen Leben kennen.

Fragen Sie sich, weshalb ein attraktiver Mensch aus einem fernen Land plötzlich eine Fernbeziehung mit Ihnen beginnen möchte.

Werden Sie misstrauisch, wenn das Gegenüber rasch von der grossen Liebe spricht.

Brechen Sie den Kontakt ab und blockieren Sie die Person, wenn sie Geld fordert oder Sie bittet, wertvolle Güter zu verschicken oder entgegenzunehmen.

Stellen Sie nie Ihr Konto für fremde Finanztransaktionen zur Verfügung. Sie könnten sich der Geldwäsche strafbar machen.

Verschicken Sie nie Bilder von sich, die Sie nicht selbst veröffentlichen würden.

Vergessen Sie nie, dass im Internet alles gefälscht sein kann – Profile, Fotos, Freundeslisten etc.

Erstatten Sie Anzeige bei der Polizei.

Sprechen Sie mit einer Vertrauensperson über den Vorfall oder nehmen Sie psychologische Hilfe in Anspruch.

Grobfahrlässiges Verhalten gemäss Gericht

Die Frau behauptet gar nicht erst, von einer Rückzahlung ausgegangen zu sein. Sie hat im Gegenteil dem Liebesbetrüger mehrfach bestätigt, das Geld nicht zurückhaben zu wollen.

Das Gericht schreibt ihr grobfahrlässiges Verhalten zu. Es habe Verdachtsmomente gegeben. Keines der ausländischen Konten, auf welches sie die Summen überwies, habe auf den angeblichen Namen des Betrügers gelautet.

Bei der ersten Überweisung wurde sie von einer Bankangestellten gewarnt und eine Stunde lang befragt, woraufhin sie die Zahlung zunächst stoppen liess. Gewisse Banken weigerten sich auch, die Zahlung auszuführen. Die Frau habe, wie sie in der Einvernahme sagte, auch selber Verdacht geschöpft, dass es sich um einen «Romance Scam» handeln könnte.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Rentnerin kann das Urteil vor das Bundesgericht weiterziehen. Sie und ihr Rechtsanwalt waren für eine Stellungnahme noch nicht erreichbar.(lil)