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Dem Bundesanwalt fehlen Mittel für die Mafia-Jagd
Erhielte die Bundesanwaltschaft mehr Unterstützung von der Kriminalpolizei, könnte sie mafiöse Strukturen in der Schweiz besser bekämpfen. Denn «angesichts der Kriminalitätslage» könnte sie mit zusätzlichen Ressourcen auch mehr Strafverfahren gegen kriminelle Organisationen eröffnen, als es derzeit möglich ist. Das stellt die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft in ihrer am Donnerstag veröffentlichten Inspektion fest.
Die Aufsichtsbehörde ging den Forderungen der betroffenen Behörden nach. Denn kriminelle Organisationen breiten sich auch in der Schweiz fast ungehindert aus. Bundesanwalt Stefan Blättler wies gegenüber dieser Zeitung bereits im Dezember auf diese staatsgefährdende Entwicklung hin.«Wenn sich ein Staat nicht gegen das organisierte Verbrechen wehrt, dann wird es irgendwann sichtbar: Sie sehen es ja in Schweden, Belgien, Holland.» Dort sei das organisierte Verbrechen in den Strassen sichtbar.
Blättler verknüpfte diese Feststellung auch mit einer Forderung: «Es braucht viel mehr Polizisten, es braucht viel mehr Ermittler.» Die Bundespolizei Fedpol könne nur das liefern, was es personell bewältigen kann. «Und das ist zu wenig.»
Schlag gegen ‚Ndrangheta mit Schweizer Hilfe
Die Finanzpolizei der norditalienischen Stadt Brescia (Lombardei) hat in Zusammenarbeit mit Schweizer Behörden im Rahmen einer Operation gegen die Mafiaorganisation Ndrangheta sechs Personen festgenommen. Ihnen wird Erspressung und Entführung eines Unternehmers vorgeworfen. Auf Schweizer Seite waren Polizei- und Justizbehörden auf kantonaler und Bundesebene beteiligt, ebenso wie die EU-Agentur für Justizzusammenarbeit (Eurojust) und der Interpol-Kooperationsdienst für die Bekämpfung der ‚Ndrangheta (I-Can). Gemäss Informationen der RAI gehen die Verhaftungen gehen auf im Dezember 2021 aufgenommene Ermittlungen zurück. Diese anfänglichen Untersuchungen durchgeführt betrafen die Aktivitäten von kriminellen Strukturen im Raum Brescia, die Verbindungen zum Ndrangheta-Clan Piromalli-Molé in Kalabrien aufweisen. Die Ermittlungen deckten ein mutmasslich illegales Steuerhinterziehungssystem auf. Dieses wurde durch einen Kreislauf von Rechnungen für nicht existente Transaktionen mit einem Gesamtwert von über 250 Millionen Euro ermöglicht. Eine wichtige Rolle spielte dabei die illegale Vermittlung von Arbeitskräften zwischen Bauunternehmen in der Lombardei. Die Behörden beschlagnahmten vorsorglich über 27 Millionen Euro Vermögen der betroffenen Unternehmen. (cbe)
Gegenüber der Aufsichtsbehörde erklärte Blättler es brauche 40 bis 60 Stellen, um bei der Bundeskriminalpolizei die grössten Engpässe zu beheben. Die frühere Fedpol-Chefin Nicoletta della Valle erklärte 2023, es fehlten gar 200 Ermittlerinnen und Ermittler. Der Bestand lag damals bei 136 Personen.
Die Aufsichtsbehörde bestätigt die fehlenden Ressourcen. In einigen Deliktfeldern müssten bei der Bundeskriminalpolizei zwei- bis dreimal mehr Bundesermittlerinnen und Bundesermittler tätig sein. Gerade bei Verfahren gegen kriminelle Organisationen herrscht grosser Mangel.
Falsche Prioritäten und ungenügende Zusammenarbeit
Das ist allerdings nicht nur ein Ressourcenproblem. Die Aufsichtsbehörde stellt auch fest, dass die Bundespolizei die Prioritäten falsch setze. So liefere die Bundesanwaltschaft zwar Hinweise, es fehlte aber an Personal, um diesen nachzugehen. Zweimal musste die Bundesanwaltschaft darum auf die Hilfe der Kantonalpolizeien ausweichen. Ein anderes Mal kam es zu einem monatelangen Aufschub einer Verhaftung im Fall von Wirtschaftskriminalität.
Für die Aufsichtsbehörde ist klar, dass sich die Bundeskriminalpolizei an den Bedürfnissen der Bundesanwaltschaft ausrichten müsse. Sie verzichtet im Bericht zwar auf eine genaue Zahl an Ermittlern, die es braucht. Die Aufsicht appelliert aber an Bundesrat und Parlament, das Ressourcenproblem zu lösen.
Das Szenario, das der Bericht bei weiterer Untätigkeit skizziert: Die Schweiz gewinne als Rückzugsort für ausländische kriminelle Organisationen an Attraktivität, wenn diese weiterhin unbehelligt ihr Geld waschen können.