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Lara, so gut wie nie

Eine Ode an Lara Gut-Behrami, die im Spätherbst ihrer Karriere berührt wie selten zuvor. Auch, weil sie wie in Kvitjell mit Ehrlichkeit und Grandezza auf Enttäuschungen reagiert.

Sicher, Lara Gut-Behrami war schon erfolgreicher unterwegs als in dieser Saison. Beispielsweise ein Jahr zuvor, als sie im Weltcup 16 Podestplätze herausfuhr, die Gesamt-, Super-G- und die Riesenslalom-Wertung gewann. In diesem Winter steht sie bei acht Podestplätzen, liegt in der Gesamtwertung 251 Punkte hinter Federica Brignone und gilt einzig im Super-G als aussichtsreichste Kandidatin für den Gewinn einer Kristallkugel. Trotzdem berührt uns die bald 34-jährige Tessinerin wie kaum je zuvor. Denn nie war sie so reif, nahbar und reflektiert.

Lara Gut-Behrami hat sich zur Grande Dame des alpinen Skisports entwickelt: würdevoll, welterfahren, selbstbewusst und erfolgreich. Dabei missglückt der Start, muss sie für die Ouvertüre in Sölden aus gesundheitlichen Gründen Forfait erklären. Und erklärt sich mit Tränen vor den TV-Kameras. Doch wenn Gut-Behrami, die seit ihrem ersten Weltcupsieg mit erst 17 unter öffentlichem Dauerdruck steht, hustet, ist die Schweiz krank vor Sorge. Kann sie überhaupt noch mal auf die Piste zurückkehren? Fehlt ihr die Motivation? Von wegen. Sie startet nicht, weil sie keine Verletzung riskieren will. Schluss. Aus. Welch reifer Entscheid. Der auch in der Erkenntnis gründet, dass sie niemandem mehr etwas beweisen muss, ausser sich selbst.

Alles, was sie sagt, was sie tut, wird gedeutet

Lara Gut-Behrami scheint sich mit der Rolle des Wunderkinds arrangiert zu haben. Lara hier, Lara da, Lara überall. Alles, was sie sagt, was sie tut, wird gedeutet, kommentiert, interpretiert. Seit mehr als 15 Jahren. Mal wird sie als Zicke beschimpft, mal als Einzelgängerin betitelt. Und zwischendurch immer wieder mal für ihre Erfolge gefeiert. Verständlich, macht sie nicht mehr jeden Zirkus mit.

Kein Helmsponsor mehr? Der Athletiktrainer weg? Liegt wohl an ihr, denken die Nörgler. Allen recht machen kann sie es eh nicht, das hat sie längst kapiert. Also zieht sie ihr Ding durch. Zu diesem Ding gehört auch, die sensible, die reflektierte Seite nach aussen zu kehren. Wie sie an der WM nach der Team-Kombi ihrer Partnerin Wendy Holdener die Tränen abwischt und ihr 95 Prozent Anteil an der Silbermedaille zuspricht.

Einen weiteren Beweis ihres eindrücklichen Reifeprozesses liefert Lara Gut-Behrami eben erst in Kvitfjell. Am Freitag ist sie Teil jenes Swiss-Ski-Teams, das eine böse Schlappe einstecken muss. Die Tessinerin ist als 12. beste Schweizerin in der Abfahrt. Hinterher räumt sie ein, zu wenig Geduld gehabt zu haben. Am Tag darauf kann sie sich leicht verbessern, landet auf Platz 8. Ihr Resümee: «Unten gibt es ein langes Stück, wo man nur geradeaus fahren muss. Leider kann ich das Geradeausfahren nicht so gut.» Selbstironie ist ein Zeichen von intaktem Selbstbewusstsein.

Dabei ist die Crunchtime angebrochen. Jeder Punkt kann entscheidend sein. Gut-Behrami ist in den Kampf um die grosse Kugel involviert, hätte mit zwei Exploits auch in der Abfahrtswertung noch in die Entscheidung eingreifen können. Sie verliert zwar an Terrain, aber nicht den Fokus und erst recht nicht die Nerven.

Keine Ausrede, kein Alibi

Nicht das Wetter, nicht die Kurssetzung, nicht die Piste, nicht der Schnee, nicht das Material, nicht das Hotel oder sonst irgendwas: Lara Gut-Behrami bemüht keine Alibis, keine Ausreden, sondern sucht bei sich selbst. Auch, nachdem sie im Super-G auf Platz 2 fährt, 6 Hundertstelsekunden hinter Brignone, sagt sie: «Ich bin überhaupt nicht zufrieden. Denn ich mache immer wieder Fehler, schon die ganze Saison. Das regt mich langsam auf. Ich fahre zwar nicht schlecht, aber es fehlt die Konstanz, fehlerfrei zu fahren.»

Vielleicht wird Gut-Behrami in dieser Saison keine Kugel gewinnen. Vielleicht wird sie nächstes Jahr an den Olympischen Spielen ihre Karriere nicht mit Gold veredeln. Egal. Ihre Karriere ist sowieso vollendet. Und die Lücke, die sie nach der nächsten Saison hinterlassen wird, scheint heute grösser denn je. Nicht allein, weil sie nach Siegen die zweiterfolgreichste Schweizer Skifahrerin ist hinter Vreni Schneider. Sondern, weil sie zur Grande Dame geworden ist.

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