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Selenski ist gezielt in die Falle gelockt worden
In der «New York Times» spricht Thomas Friedman von einem «offensichtlich geplanten Hinterhalt». Die «Financial Times» schreibt, dass «Selenski in einen Hinterhalt gelockt wurde, um ihn zu demütigen». Der «Atlantic» titelt derweil: «Es war eine Falle» und verrät uns auch, wer diese Falle gestellt hat:
«J.D. Vance spielte die Rolle des Taktgebers in einer Talkshow, der immer dann einspringt, wenn sein Star Unterstützung braucht und es gilt, seinen Gegner niederzumachen. Der Vize-Präsident ist ein unseriöser Mann, der versucht, sich in seriösen Momenten wichtig zu machen.»
Anders als Donald Trump gilt Vance als analytisch und hochintelligent. Er gilt auch als heimtückisch und verschlagen. Lange bevor er zum Vize nominiert wurde, erklärte er, das Schicksal der Ukraine sei ihm gleichgültig. Seit seinem Übertritt zum katholischen Glauben vertritt er eine extrem konservative Version davon. Gleichzeitig versucht er sich auch als sozial-konservativer Heilsbringer zu profilieren, der die Interessen der «vergessenen Menschen» vertritt.
Vance ist ein Mann voller Widersprüche. Einerseits verdankt er seine Karriere Peter Thiel und gilt als Kumpel der Broligarchen aus dem Silicon Valley. Anderseits versteht er sich auch bestens mit Steve Bannon, Tucker Carlson und Donald Trump Jr., welche die Globalisierung ablehnen und sich für einen christlichen Nationalismus starkmachen.
In diesem verhängnisvollen Meeting im Weissen Haus hat Vance Selenski ganz gezielt in die Falle gelockt. Zunächst beschuldigte er den Präsidenten der Ukraine, er sei nicht genügend dankbar. Danach entwickelte sich folgender Dialog:
Vance:«Ich denke, dass es nicht respektvoll von Ihnen ist, wenn Sie ins Oval Office kommen und versuchen, Ihre Sache vor den amerikanischen Medien zu verhandeln. Glauben Sie, dass es von Respekt zeugt, wenn Sie im Oval Office die Regierung angreifen, die versucht, die Zerstörung Ihres Landes zu verhindern?»
Selenski:«Während eines Krieges haben alle Probleme. Aber ihr habt einen grossen Ozean und spürt daher nichts davon. Aber ihr werdet es künftig spüren.»
Jetzt schaltete sich Trump ein: «Sagt uns nicht, wie unsere Gefühle aussehen», erklärte er zornig.
Damit war der Eklat perfekt. «Es war ein gewolltes Eisenbahnunglück», erklärt dazu Sam Green, Professor für russische Politik am King’s College in London im «Guardian». «Die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen seit der Münchner Sicherheitskonferenz hatten zum Ziel, die Ukraine zu unterlaufen. Sollte es zu keinem echten Deal kommen, dann musste jemand die Schuld dafür tragen, und das ist jetzt die Ukraine, oder nicht?»
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Bild: AP
Die Intrige von Vance ist damit aufgegangen. Zuerst in München sich mit den Europäern zoffen, dann die Ukraine verraten. Er ist seinem Ziel, die USA in einen autoritären, christlich-nationalen Staat zu verwandeln, ein Stück näher gekommen. Was aber ist mit Trump?
Man muss den US-Präsidenten nicht auf die Couch legen, um seine Motive zu erforschen. Vor den Verhandlungen mit Selenski soll er über seine Mitarbeiter verärgert gewesen sein, weil sie angeblich zu wenig aus dem geplanten Rohstoff-Deal herausgepresst hätten. Auch mag er den Präsidenten der Ukraine offensichtlich nicht.Doch letztlich tickt er wie Don Corleone. «Donald Trump hat einen Mafia-Kampf um die globale Macht angezettelt», titelt daher der «Economist».
Trump will sich die Welt mit Putin und Xi aufteilen. Der «Economist» fasst seine Sicht der Welt wie folgt zusammen: «Dieses neue System hat eine Hierarchie. Amerika ist die Nummer eins. Dann kommen Länder, welche Rohstoffe zu verkaufen haben, Drohungen ausstossen können und von Führern geleitet werden, die sich nicht der Demokratie verpflichtet fühlen. Wladimir Putin will Russland wieder zu einer Grossmacht machen. Mohammed bin Salman will den Nahen Osten modernisieren und den Iran in Schach halten. Xi Jinping ist gleichzeitig ein Kommunist und ein Nationalist und will die Welt für ein starkes China einrichten. Erst dann kommen die Verbündeten von Amerika, deren Abhängigkeit und Loyalität man als Schwäche betrachtet, die es auszunutzen gilt.»
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Bild: AP
Mit der Demütigung von Selenski glauben Trump und Vance, dieser Welt wieder einen Schritt näher gekommen zu sein. Dafür spricht, dass sich diejenige, die sich in der Grand Old Party einst für die Ukraine stark gemacht haben, jetzt einmal mehr kuschen. Fast noch ekelerregender als die Hinterhältigkeit von Vance sind die Speichelleckereien von Aussenminister Marco Rubio und dem Senator Lindsey Graham.
Es gibt auch Hoffnungsschimmer. Die überwiegende Mehrheit der Amerikaner teilt die Sicht des Weissen Hauses nicht und hält Putin für einen nicht vertrauenswürdigen, gefährlichen Diktator. Die inszenierte Demütigung Selenskis könnte Trump dereinst auf die Füsse fallen, denn eines ist jetzt unwiderruflich klar geworden: Die USA sind nicht mehr der Führer der freien Welt.
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Bild: AP
«Der Kongress und die Finanzmärkte könnten Trump noch einmal dazu überreden, sich nochmals neu zu besinnen», stellt der «Economist» fest. «Aber die Welt hat schon begonnen, sich auf eine gesetzlose Welt einzurichten.»