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Doppelt schwer: Wer Krebs hat, steht vor schweren Entscheidungen

Anna Farris hat Krebs und spricht über etwas, das am Kranksein extrem herausfordernd ist: dass Patienten heute mitbestimmen können – aber auch müssen.

Als Anna Farris vor zwei Jahren die Diagnose metastasierter Brustkrebs mit Lungenmetastasen erhielt, war nicht nur die Krankheit an sich beängstigend. Sie stand auch vor einer Flut an Entscheidungen. «Von einem Tag auf den anderen musste ich Therapien abwägen, Risiken kalkulieren und mir überlegen, was ich in den Mittelpunkt meiner Entscheidungen stellen soll», erinnert sie sich.

Doch Anna ist nicht nur Betroffene – sie setzt sich auch aktiv für andere Frauen mit derselben Diagnose ein. Gemeinsam mit einer weiteren Betroffenen hat die 36-Jährige die Patientenorganisation «Metastasierter Brustkrebs Schweiz» gegründet. Die Community bietet Frauen in derselben Situation Unterstützung und setzt sich für mehr Aufklärung, eine bessere Versorgung und den Austausch zwischen betroffenen Frauen und medizinischen Fachpersonen ein. Dazu arbeitet sie eng mit Fachärzten, Onkologen und Pflegefachkräften zusammen.

Denn die Diagnose metastasierter Brustkrebs bedeutet für Betroffene, dass sie regelmässig weitreichende Entscheidungen treffen müssen – oft mit ungewissem Ausgang. Anna Farris kennt das. Ihr triple-negativer Brustkrebs (TNBC) ist eine aggressive Form, die nicht auf bestimmte weibliche Hormone anspricht. «Diese Form von Brustkrebs wächst schneller, streut früher, die Therapien sind härter. Ich musste mich entscheiden, ob ich eine besonders aggressive Therapie machen möchte oder nicht. Ich habe sie bewusst abgelehnt, weil ich sie mir als letzte Option aufbewahren wollte.» Doch nicht alle in ihrem Umfeld waren einverstanden. Vor allem ihr Mann tat sich am Anfang schwer mit der Entscheidung – eine emotionale Herausforderung, die viele Betroffene kennen.

Anna Farris hat dann im Dezember 2023 mit einer Kombination aus Chemotherapie und einem Medikament auf Basis von Antikörpern gegen die Tumorzellen begonnen. Auch mehrere Strahlentherapien hat sie bereits hinter sich. Seit einem Jahr sind ihre Metastasen stabil. Ende Januar bekam sie die erfreulicherweise guten Ergebnisse ihres PET-Scans. Für einmal stand keine weitere Entscheidung an. Anna ist Trägerin des BRCA1-Gens, welches das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs erheblich erhöht. Auch das muss man im Auge behalten.

Manchmal sind es kleine Fragen, die grosse Auswirkungen haben: «Will ich meine Haare noch behalten oder nehme ich den Haarausfall in Kauf? Will ich meine Energie bewahren, um mit meinen Hunden unterwegs zu sein?» Die Überlegungen zeigen, dass eine Krebsbehandlung mehr ist als Zahlen und Wahrscheinlichkeiten – es geht um den Alltag der Betroffenen. «Ich habe meine Behandlungen immer wieder angepasst, jede Entscheidung davon abhängig gemacht, wie viel Lebensqualität ich mir erhalten möchte. Am Ende ist es mein Körper, mein Leben», sagt Farris.

Viele Patientinnen sind überfordert

Diese Entscheidungsfreiheit ist nicht immer selbstverständlich. «Nicht alle Patientinnen fühlen sich sicher oder kompetent genug, um mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin auf Augenhöhe zu sprechen», sagt Anna. «Viele sind überfordert, wenn in einem Gespräch plötzlich von Tumorprogression, neuen Therapielinien oder Nebenwirkungen die Rede ist.» Ihre Patientenorganisation will in solchen Momenten helfen.

Solche unterstützenden Organisationen gibt es verschiedene. Lymphome.ch zum Beispiel ist ebenfalls eine Patientenorganisation und eine Selbsthilfegruppe in einem. Deren Präsidentin Rosemarie Pfau ist gleichzeitig noch für die Krebspatientenorganisationen SwissCAPA und SAKK tätig. Ihrer Ansicht nach wird ein Viertel der Lymphompatienten nicht ausreichend informiert oder unterstützt. Patientenorganisationen seien daher eine wichtige Anlaufstelle, wie auch die Krebsliga.

Anna Farris sagt: «In vielen regionalen Krebsligen nehmen sich onkologisch ausgebildete Pflegekräfte Zeit, um medizinische Informationen verständlich zu erklären und Therapieoptionen zu besprechen.» Es gehe darum, dass sie Entscheidungen nicht allein treffen müssten.

Patienten in eine Therapie aktiv miteinzubeziehen, ist heute Standard. Und doch hören die Betroffenen manchmal unüberlegte Sätze wie: ‹Wenn Sie diese Therapie nicht machen, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn der Krebs fortschreitet.› Oder: ‹Wir haben jetzt eine Woche Zeit verloren, weil Sie so lange gebraucht haben, sich zu entscheiden.› «Solche Aussagen setzen Betroffene unnötig unter Druck», sagt Farris.

Im Idealfall tragen Ärzte die Entscheidungen der Patientinnen mit – selbst dann, wenn sie von der ärztlichen Empfehlung abweicht.

Anna Farris möchte Patienten ermuntern, fundierte Entscheidungen zu treffen. «Wir wollen, dass jede Patientin ein Stück weit zur Expertin ihrer eigenen Erkrankung wird.» Doch nicht jede möchte diese Verantwortung übernehmen. «Mündigkeit ist anstrengend», erklärt sie. «Das bedeutet, sich zu informieren, mitzudenken und Verantwortung für die eigenen Entscheidungen und den eigenen Körper zu übernehmen. Wer schon einen langen Therapieweg hinter sich hat, hat manchmal schlichtweg nicht die Energie dafür.»

Manche Patienten bevorzugen sachliche Ärzte

Dennoch gibt es Möglichkeiten, sich im ärztlichen Gespräch mündiger zu fühlen. Was hilft, ist eine gute Vorbereitung: sich die wichtigsten Fragen vorab zu notieren, gezielt nach Zielen und Alternativen fragen, Fachbegriffe hinterfragen, Notizen machen und eine Begleitperson mitnehmen. Auch Entscheidungshilfen in Form von Diagrammen oder Checklisten können Patientinnen und Patienten unterstützen. Eine Sammlung solcher Hilfsmittel findet sich auf der Plattform Kurvenkratzer.

Farris sagt: «Ich zum Beispiel bevorzuge Ärzte, die sachlich und rational sind und mir die Fakten auf den Tisch legen. Manche in meinem Umfeld bevorzugen sehr empathische Onkologen, die gleichzeitig auch ein wenig Psychotherapeut sind. Aber ich hätte bei einem zu emotionalen Arzt ehrlich gesagt Angst, dass er mir falsche Hoffnungen macht.» Wichtig ist für Farris vor allem, dass sich Ärztinnen und Ärzte Zeit nehmen und bereit sind, Fragen auch nach der Sprechstunde per E-Mail zu beantworten. «Oft fallen mir wichtige Fragen erst später ein, wenn ich mir Fachliteratur anschaue.»

Einige Onkologinnen und Onkologen bieten mittlerweile sogar Patientenkompetenzstunden nach Feierabend an – eine Zeit, in der offene Fragen geklärt werden können. Zudem können Brustkrebsbetroffene die Hilfe von «Breast Care Nurses» in Anspruch nehmen, die es heute in jedem zertifizierten Krebszentrum in der Schweiz gibt. «Mit ‹meiner› Nurse hatte ich damals das Vorgehen nach meiner OP besprochen – Eigenfett oder Implantat? Das sind Dinge, für die in einer normalen Sprechstunde oft zu wenig Zeit bleibt.»

«Wir müssen Informationen teilen, ohne zu verwirren», sagt Anna. Manchmal gebe es auch keine klare Antwort. Dann sei es besonders wichtig, dass niemand mit einer Entscheidung allein gelassen werde.