
Sensation, Experiment und Chance: Was die Wahl von Martin Pfister bedeutet
Es gibt eine eiserne Regel bei Bundesratswahlen: Intern schlägt extern! National- und Ständeräte setzen sich in der Regel gegen Regierungsräte durch. Man wählt im Bundeshaus, was man kennt. Exekutiverfahrung hin oder her. Das musste die damalige Regierungsrätin Karin Keller-Sutter bei ihrer ersten Bundesratskandidatur erfahren, als sie Johann Schneider-Ammann unterlag. Chancenlos blieben auch Heidi Z’graggen gegen Viola Amherd oder Pierre Maudet gegen Ignazio Cassis.
Wenn ein Regierungsrat Bundesrat wird, dann wegen einer besonderen Konstellation. Etwa, weil dringend eine Frau gesucht wird, wie es bei Micheline Calmy-Rey oder Ruth Metzler der Fall war, die beide gegen andere Regierungsrätinnen obsiegten. Oder wenn es eine Sprengkandidatin braucht, wie bei der Blocher-Abwahl, als die damalige Bündner Finanzdirektorin Eveline Widmer-Schlumpf in den Bundesrat gewählt worden ist.
Die Wahl des Zuger Regierungsrates Martin Pfister ist historisch gesehen eine Sensation. Sie bricht mit einer eisernen Regel. Und das in einer bemerkenswerten Deutlichkeit.
Der Anti-Ritter-Reflex und die Frauen
Der national praktisch Unbekannte Pfister gewann nicht gegen irgendwen, sondern den Bauernpräsidenten Markus Ritter. Der St.Galler gilt als einflussreichster Parlamentarier. In der Vergangenheit hat Ritter jeweils sehr präzise den Ausgang von Bundesratswahlen vorausgesagt – inklusive Stimmenzahlen. Nur bei seiner eigenen Kandidatur hat sich Ritter verspekuliert. Weshalb? Weil das Parlament lieber solide Langeweile als Ecken und Kanten hat?
Tatsächlich ist Ritter ein ausgesprochener Machtmensch. Selbstbewusst, strategisch versiert und siegesverwöhnt. Respektiert: Ja. Gefürchtet: Ja. Beliebt: Nein.
Der Anti-Ritter-Reflex spielte eine Rolle. Doch als alleinige Begründung für die Wahl Pfisters taugt er nicht. Die beiden Konkurrenten hatten unterschiedliche Profile. Ritter war der konservativere Kandidat, verärgerte Städter und Frauen. Pfister positionierte sich einen Tick progressiver und europafreundlicher.
Die Frauen sind im neuen Bundesrat untervertreten, doch sie haben zumindest dafür gesorgt, dass der liberalere Kandidat gewann. Pfister verdankt seine Wahl nicht nur SP, Grünen und GLP, sondern zu grossen Teilen auch Parlamentarierinnen aus Mitte und FDP.
Glimpflicher Ausgang für die Mitte
Für die Mitte-Partei nimmt die Bundesratswahl doch noch ein versöhnliches Ende. Der neue Bundesrat passt besser in die Strategie des scheidenden Präsidenten Gerhard Pfister, der die Mitte-Partei in den urbaneren und bevölkerungsreichen Kantonen wie Zürich, Waadt und Bern besser positionieren will.
Und dennoch: Die Mitte-Partei machte lange Zeit keine gute Figur. Sie war schlecht vorbereitet auf diese sich abzeichnende Ersatzwahl. Top-Leute sagten ab. Nur mit Müh und Not fand die Partei zwei Kandidaten.
Selten hat sich eine Partei bei der Kandidatenkür derart blamiert. Und sich mit offenen Konflikten selbst demontiert. Die Partei kann nun endlich vorwärts schauen und die Präsidenten-Frage klären.
Die Lust auf Kollegialität
Martin Pfister hat im Wahlkampf davon profitiert, dass er bundespolitisch ein unbeschriebenes Blatt ist. Seine Wahl ist ein Experiment. Bundesrat ist eine andere Schuhnummer als Regierungsrat eines kleinen und reichen Kantons. Als Bundesrat steht er unter ständiger Beobachtung. Die Parteien schenken den Bundesräten der Konkurrenz nichts – Konkordanzregierung hin oder her. Dass das Klima in Bern rauer ist, hat Pfister bereits gemerkt.
In seiner ersten Rede prägte Pfister den Satz: «Kollegialität ist für mich Lust und nicht Last.» Es ist ein guter Leitsatz. Denn der Bundesrat hinterliess als Gremium zuletzt nicht den besten Eindruck. Die abtretende Verteidigungsministerin Viola Amherd war isoliert. Der Konflikt zwischen ihr und Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter um den Ausbau der Armeefinanzen belastete das Gremium.
Bundesrat Pfister ist nicht nur ein Experiment. Seine unbelastete Beziehung zu seinen Regierungskollegen ist auch die Chance auf einen Neustart im Bundesrat.