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Das Flickwerk wird zur Normalität: Die Realität kommt im Bundeshaus an

Die Wahl von Martin Pfister zeigt auch, dass das Parlament bei seinen Auswahlkriterien in der Neuzeit angekommen ist. Familienmodelle abseits der katholischen Norm sind kein Hindernis mehr.

«Patchwork ist eine Form der Textiltechnik, bei der Reste verschiedener Materialien verwendet werden, um neue Textilien anzufertigen», so steht es auf Wikipedia. Patchwork ist eben auch, wenn sich zwei Familien – oder deren Teile – zu einer neuen Familie zusammenflicken. Eine solch zusammengefügte Familie hat der neue Bundesrat Martin Pfister. Zwei «seiner» vier Kinder sind nicht «seine» im biologischen Sinne. Sie wurden von seiner Partnerin mit in die Ehe gebracht.

Wie sie leben heute rund 6 Prozent aller Kinder und Jugendlichen in solch zusammengewürfelten Gemeinschaften, die im schönen Statistikerdeutsch auch Fortsetzungsfamilien genannt werden. Sie sind längst zur Realität geworden in unserer Gesellschaft.

Es gibt Orte, an denen es etwas länger dauert, bis die Realitäten ankommen. Einer davon ist das Bundeshaus.

Hier hatte das Parlament 1989 noch grösste Bedenken, einen Bundesrat zu wählen, der im Konkubinat lebte, obwohl er noch verheiratet war. Und verweigerte Franz Steinegger den Einzug in die Regierung. Auch bei der Wahl von Ruth Dreifuss spielte es eine Rolle, dass ihre Konkurrentin Christiane Brunner zweimal verheiratet war, mit fünf Söhnen (eigenen und adoptierten).

Das gewünschte Alleinstellungsmerkmal

Und dieses Mal? Keine kritische Stimmen über die Patchwork-Familie von Pfister. Im Gegenteil: Es hob ihn sogar von seinem Konkurrenten ab. Im Direktduell mit Markus Ritter, beides tendenziell eher konservative Geister, liess es Pfister als urban und weltoffen erscheinen. FDP-Ständerätin Petra Gössi hatte Pfister im Vorfeld der Wahlen geraten, «ein Alleinstellungsmerkmal» herauszuschälen – und dabei wie viele übersehen, dass der Zuger Regierungsrat das mit seiner Familie längst hatte.

Pfister wird Verteidigungsminister

Am Freitag hat der Bundesrat in neuer Zusammensetzung die Departementsverteilung vorgenommen. Eine Überraschung blieb aus: Der Zuger Martin Pfister übernimmt von seiner Vorgängerin und Mitte-Parteikollegin Viola Amherd das Verteidigungsdepartement. Die anderen Mitglieder des Bundesrats bleiben ihren bisherigen Departementen treu. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (FDP) bleibt Finanzministerin, Guy Parmelin (SVP) Wirtschaftsminister, Ignazio Cassis (FDP) Aussenminister, Albert Rösti (SVP) Umwelt- und Verkehrsminister, Elisabeth Baume-Schneider (SP) Innenministerin und Beat Jans (SP) Justizminister.(cbe)

Das hat auch mit der Selbstverständlichkeit zu tun, wie Martin Pfister seine Realität lebt. Kein grosses Tamtam. Es ist einfach normal. Und trotzdem lässt es ihn – der in einem 1200-Seelen-Dorf oberhalb von Baar wohnt – ungleich moderner wirken als seinen Konkurrenten Ritter.

Auch dass seine Frau Brasilianerin ist, war in den wenigen Wochen Wahlkampf nie Gegenstand von den üblichen Nickeligkeiten im Vorfeld der Bundesratswahlen. Bei der Wahl von Ignazio Cassis gab es noch Debatten darüber, dass ein Doppelbürger nicht in die Regierung gehöre. Cassis gab schliesslich seinen italienischen Pass ab.

Pfister berichtet dagegen tiefentspannt, dass bei ihnen daheim zuweilen «brasilianische Verhältnisse» herrschten. Nicht mal den isolationistischen Kreisen im Bundeshaus rang er deswegen einen bösen Spruch ab.

Der Enkel auf der Tribüne

Das mag auch damit zusammenhängen, dass mit Tracy Jans bereits eine weitere Bundesratspartnerin ausländische Wurzeln hat. Vor ein paar Jahren wäre das undenkbar gewesen.

Ebenso undenkbar wäre es gewesen, dass ein Enkel im Säuglingsalter auf der Tribüne die Wahl verfolgt. Auch das ist diesen Mittwoch in Bern passiert. Zwar dürfte der zehnwöchige Joah nicht im vollem Umfang begriffen haben, was sein Grossvater da gerade für ein Amt antritt, aber immerhin war er dabei. Und auch er erhielt – so viel parlamentarische Korrektheit muss sein – einen eigenen Zutrittsbadge.