
«Ein Erdbeben, ein inakzeptabler Eingriff»: Waadtländer Regierung entmachtet Finanzdirektorin Valérie Dittli
Anfang Woche war Valérie Dittli (Die Mitte) krank geschrieben und tauchte nicht an der Sitzung des Kantonsparlaments auf. Ihr Blutdruck sei abgefallen, sie habe sich zur Notaufnahme begeben müssen, sagte die Waadtländer Regierungsrätin in einem Interview mit der Zeitung «24 Heures». Am Donnerstag kehrte sie auf ihren Posten als Chefin der Finanzdirektion zurück. Am Freitag traten sie und der gesamte Regierungsrat in Lausanne vor die Medien. In corpore präsentierte die Regierung Schlussfolgerungen zu einem Bericht, den der ehemalige Neuenburger Ständerat und Finanzdirektor Jean Studer verfasste und vorstellte.
Das Fazit fällt für die 32-jährige Zugerin, die als Jusstudentin nach Lausanne zog und 2022 sensationell in die Waadtländer Exekutive gewählt wurde, unerfreulich aus. Der Regierungsrat entzieht ihr die Steuerverwaltung und das Finanzamt. Damit ist Dittli nicht mehr Finanzdirektorin. Zunächst übernimmt ihr Stellvertreter Frédéric Broloz (FDP) diese Aufgaben, ab dem 1. Juni Regierungspräsidentin Christelle Luisier Brodard (FDP). Dittli bleibt verantwortlich für die Landwirtschaft, die Statistik sowie Nachhaltigkeit und Klima.

Bild: Cyril Zingaro/Keystone
Am Ursprung der Affäre, die den Kanton Waadt seit Wochen in Atem hält, steht eine bilaterale Beziehungskrise zwischen Dittli und der Chefin der Steuerverwaltung, Marinette Kellenberger. Laut dem Bericht Studer herrschte ein Klima des Misstrauens, das die Arbeit im Departement und letztlich das Funktionieren des Staats beeinträchtigte. Sechs Mitarbeitende im Departement sind aktuell krankgeschrieben. Kellenberger geht vorzeitig in Pension, sobald eine Nachfolge gefunden ist.
Dittli will im Amt bleiben
Kellenberger warf Dittli eine Reihen an Verfehlungen und Kompetenzüberschreitungen im Zusammenhang mit Steuerdossiers vor. Mediationen fruchteten nicht. Anfang Jahr beauftragte der Regierungsrat Jean Studer, die Finanzdirektion zu durchleuchten. Die meisten Vorwürfe an Dittlis Adresse bestätigte er nicht. Eine Schlussfolgerung lautet: Sowohl Dittli als auch Kellenberger haben teils ihre Kompetenzen überschritten.
In einem wichtigen Punkt wirft Studer Dittli vor, nicht gesetzeskonform gehandelt zu haben. Demnach hat die Mitte-Politikerin die Annullation bereits rechtskräftiger Steuerveranlagungen verlangt. «Das ist ein Erdbeben, ein inakzeptabler Eingriff», sagte Studer auf eine Journalistenfrage. Es geht dabei um Veranlagungen von natürlichen Personen, die von einem sogenannten «Steuerschutzschild» profitieren. Dieser sorgt dafür, dass der Fiskus nicht zu konfiskatorisch zulangt.
Dittli begann ihre Ausführungen mit dem Satz: «Es geht mir gut.» Sie sei froh, dass der Bericht Studer, den sie selber initiiert habe, nun vorliege – und sie übernehme ihre Verantwortung. Dittli liess durchblicken, dass die Einschätzungen Studers nicht vollumfänglich teilt. Sie habe immer strikt das Gesetz respektiert. Ein Rücktritt kommt für sie derzeit nicht infrage. Befragt zu ihrem Führungsstil antwortete sie: «Einige Personen akzeptieren nicht, dass ich Chefin des Departements bin.» Sie bringe ihren Mitarbeitenden Vertrauen entgegen.
Derweil hat die Regierung Strafanzeige eingereicht gegen Unbekannt wegen Amtsgeheimnisverletzung. Viele Informationen über die Affäre Dittli waren schon vor Publikation des Berichts Studer an die Öffentlichkeit durchgesickert.