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Wir würden alle gerne wissen, was andere über uns tratschen – oder, ähm, vielleicht doch nicht

JD Vance findet Europa doof. Er will den Kontinent «nicht schon wieder retten». Ich frage mich manchmal, wer mich alles doof findet. Und will trotzdem lieber nicht in Läster-Chats geraten.

Das war wirklich amüsant, als im Kopierer auf der Redaktion einst ein ausgedrucktes E-Mail gefunden wurde. Ein Mitarbeiter hatte einer Mitarbeiterin geschrieben: «Cowgirl, what a night!» Eine lustvolle Beziehung unterhielten die beiden also. Was haben wir gelacht.

Nein, es braucht keine neuen Kommunikationskanäle, damit Privates publik wird. Ein Drucker reicht vollkommen. Oder ein Zug. Einmal unterhielt ich mich auf einer Zugfahrt intensiv mit einer Kollegin über die Arbeit – um erst beim Aussteigen zu bemerken, dass eine Praktikantin auf der Rückseite ein Abteil weiter gesessen hatte. Wir haben ihr keine Fragen gestellt. Und sie uns auch nicht.

Seither rede ich noch ein bisschen leiser im Zug. Und sehr leise bei uns im Newsroom an der Bar. Die dortigen Gespräche sind nämlich ziemlich weit weg noch ziemlich gut hörbar wegen der tief gehängten Decke. Es ist immer wieder erhellend, was dort besprochen wird.

Zum Glück stand in all den Nachrichten, die ich selber schon an falsche Personen geschickt hatte, nichts Wichtiges drin. Und all die internen E-Mails, die mir fälschlicherweise eine Schulpflege aus Bern lange geschickt hatte, haben noch nie zu einem guten Artikel geführt. Auch nicht jene einer Abteilung beim Bund, auf deren Verteiler ich gerutscht bin und von dem ich trotz Rückmeldung lange nicht gelöscht wurde. Die richtig krassen Storys kommen halt immer aus Amerika.

Bitte mehr Filter in unsere Gehirne

Wobei, so genau will ich’s ja gar nicht wissen, was andere denken. Über Europa ja, aber nicht über mich. Das mag in einem Film berührend sein, wie im «Der Himmel über Berlin», in dem die Engel die Gedanken und Sorgen der Menschen hören. Aber in der Regel ist das, was in unserem Kopf so gedacht wird, eben erst der Entwurf. Unzensiert. Nur Dreijährigen nimmt man es noch nicht übel, wenn sie direkt sagen, wen sie nicht mögen.

In der Erwachsenenwelt sind wir gottenfroh um die Zensur in unserem Gehirn. Vielleicht macht uns gerade das zu Menschen. Dieser soziale Filter. Daher lernen wir mit den Jahren zu schweigen. Oder wie Autor Thomas Meyer mal schrieb: «Man wird nicht klüger. Man findet bloss mehr Gelegenheiten, den Mund zu halten.»

Während also Urlaubsfotos «ohne Filter!» angepriesen werden. Würde ich mir wünschen: «mehr Filter!» zwischen der Öffentlichkeit und gewissen Gehirnen von Regierungsmitgliedern und -beratern dieser Welt. Das würde Tweets wie: «Shame on Oaf Schitz» verhindern. Im Januar verunglimpfte Musk so Olaf Scholz am WEF als «Trottel Scheiss».

Aber selbst wenn der Filter im Kopf intakt ist, entlarvt immer wieder ein Versehen unsere fiesen menschlichen Gedanken. Diese Woche eben in einem Signal-Chat. Und auch 2006 per Telefon, als die damalige FDP-Kantonalpräsidentin Doris Fiala aus Versehen nicht ihrem Kollegen Filippo Leutenegger, sondern direkt Regierungsrätin Dorothée Fierz auf die Combox gesprochen hatte. Und zwar wie folgt: «Du Filippo, wir müssen knallhart sein, Fierz muss sofort zurücktreten.» Die Namen Fierz und Filippo standen halt untereinander auf Fialas Adressliste.