
«Der Faden liegt falsch» – eine Herausforderung mit Holzspule, Garn, Klöppelkissen und Stecknadeln
Eigentlich geht es bei den Selbstversuchen des Quotendeutschen im Ressort Aarau ja darum, sich der Schweizer Kultur anzunähern. Klöppeln ist ein Handwerk, das eindeutig nicht in der Schweiz entstanden ist, eine grosse Tradition hat es aber auch hierzulande.
Beim Klöppeln werden feine Spitzenwaren hergestellt. Inzwischen gibt es aber auch zeitgenössisches Klöppeln, das nicht mehr nur ein Handwerk, sondern schon eine Kunstform ist. Ausser Spitzendeckchen, wie man sie von Grossmutters Kaffeetafel kennt, werden auch Kleidungsstücke und Accessoires geklöppelt. Etwa Schals, Tücher, Handtaschen und sogar Bilder.
«Klöppeln macht süchtig»
«Geh doch zum Klöppeln», hatten sie gesagt. «Das macht sicher Spass», hatten sie gesagt – die geschätzten Kolleginnen und Kollegen, als es um einen neuen Selbstversuch ging. «Ist ja gut, ich mach’s ja.»
Da will ich nicht katholischer sein als der Papst und beuge mich der Aufforderung. Eine Erweiterung des Horizonts schadet ja nie und Kontakte in der Region knüpfen sowieso nicht.
In Oberkulm gibt es den Klöppeltreff Wynental. Von Oktober bis März oder April treffen sich dort jeden Donnerstag etwa zehn Frauen, um ihrer – nicht ganz alltäglichen – Leidenschaft nachzugehen. Klöppeln ist nämlich ein anspruchsvolles Handwerk, so viel weiss ich.

Bild: Raphaël Dupain
Beatrix Brünggel-Bircher leitet die Gruppe, mit ihr nehme ich Kontakt auf und frage an, ob ich als Nicht-Klöppler an einem der Treffen teilnehmen darf. Ich darf und die Frauen freuen sich sogar auf meinen Besuch.
Zum letzten Treff vor der Sommerpause mache ich mich auf den Weg und werde sehr freundlich in einem der Klassenräume der Schule empfangen. «Klöppeln macht süchtig», erklärt mir eine der Damen gleich zu Beginn. Da bin ich ja mal gespannt.
Da muss ich jetzt durch
In meiner Kindheit habe ich mal Makramee gemacht – die Kunst, aus verschiedenen Knoten der Seefahrerei Masken, Wandteppiche, Blumenampeln und alles mögliche andere zu knoten. Das ist zwar irgendwie artverwandt mit dem Klöppeln, aber meine aktive Zeit ist Jahrzehnte her und Makramee ist auch deutlich grobmotorischer als Klöppeln.

Bild: Raphaël Dupain
Aber egal, ich hab’ mich angemeldet, jetzt muss ich da durch. Bei den Treffen der Oberkulmer Klöpplerinnen ist regelmässig auch Annelise Grünig anwesend. Sie hat eine Ausbildung zur Kursleiterin und weiss nahezu alles über dieses filigrane Handwerk. Sie bringt den Frauen auch immer wieder Neues bei.
In der einschlägigen Literatur wird meist Italien als Ursprungsland des Klöppelns genannt. Von dort aus habe es sich über Europa und inzwischen auch über die ganze Welt verbreitet. Grünig erzählt mir allerdings, dass italienische Seefahrer Produkte aus Spitze und schliesslich auch die Technik aus dem Fernen Osten mit nach Europa brachten.
Annelise Grünig will also versuchen, mir an diesem Abend das Klöppeln beizubringen. Zweieinhalb Stunden hat sie dafür Zeit. Sie habe schon vielen Leuten gezeigt, wie man klöppelt, erzählt sie. Unter anderem auch einem Lehrer um die 70. Der habe aber nie die Hausaufgaben gemacht, die sie ihm gegeben habe. Ein guter Lehrer muss eben noch lange kein guter Schüler sein.
Ich will an diesem Abend auf keinen Fall ohne etwas Vorzeigbares nach Hause gehen. Und schon gar nicht am nächsten Tag ins Büro. Man hat ja auch seinen Stolz.

Bild: Raphaël Dupain
Drei verschiedene Schläge will mir Annelise Grünig an diesem Abend beibringen, mein erstes Klöppelwerk soll ein Lesezeichen werden. Leinenschlag, Halbschlag und Ganzschlag stehen für mich auf dem Programm.
Dabei erzählen mir Annelise Grünig und Beatrix Brünggel, dass sich im Laufe der Zeit ganz verschiedene Techniken entwickelt haben. Die Torchon-Spitze sei die Grundtechnik, in der Schweiz gebe es unter anderem aber auch die Leutenbrunner-, die Neuenburger- und die Greyerzer-Spitze.
Greyerzer? Kenne ich nur als Käse, scheint ein innovativer Ort zu sein. Annelise Grünig hat mir mein Klöppelkissen schon vorbereitet. Darauf klebt der Klöppelbrief, der einem vorgibt, wo man die Stecknadeln hineinpinnen muss, die der Spitze Halt und Form geben.
Zehn Klöppel – kleine Holzspulen, die ganz unterschiedlich aussehen können – mit Garn in fünf verschiedenen Farben liegen vor mir. Die ersten beiden Reihen Leinenschlag macht die Kursleiterin selbst. «Der Anfang ist immer ein wenig heikel», erklärt sie mir. Kreuzen und Drehen nennen sich die beiden Grundtechniken, bei denen die Klöppel immer wieder übereinandergelegt und das Garn miteinander verwoben wird.
«Ich kann klöppeln»
Dann bin ich an der Reihe. Und ich kreuze und drehe munter drauflos. Meine erste Reihe ist fertig. «Ich kann klöppeln», entfährt es mir voller Stolz, als hätte ich gerade Wasser in Wein verwandelt. Annelise Grünig schaut sich mein Werk an. «Da liegt ein Faden falsch», stellt sie fest. Ernüchterung macht sich breit. Ich kann nicht klöppeln.
Von den Klöppel-Damen – sie hantieren teilweise mit Dutzenden Klöppeln und erschaffen richtige Kunstwerke – bekomme ich Zuspruch. «So haben wir alle mal angefangen.» Ich bin gerührt und schöpfe neuen Mut.

Bild: Raphaël Dupain
Es ist nicht einfach, die Klöppel richtig zu koordinieren, aber mit der Zeit habe ich das Drehen und Kreuzen heraus und tatsächlich entsteht langsam etwas, das ganz entfernt an ein Lesezeichen erinnert. Immer wieder kommen die Frauen bei mir vorbei und betrachten mein Werk. «Das ist gar nicht schlecht für das erste Mal», loben sie mich.
Ich habe richtig Spass bei der Arbeit. Ja, da ist Suchtpotenzial vorhanden. Die Zeit geht viel zu schnell vorbei und mein Lesezeichen wird an diesem Abend nicht fertig. Aber ich werde eingeladen, im Oktober wiederzukommen, wenn der Klöppeltreff in die Wintersaison startet. Mal schauen …