
Livestreams und viel Fake: Tiktok wird zum Kriegsberichterstatter für Junge
Die Videos sind verwackelt und verstörend, man hört Gefechtslärm in der Nacht, sieht Menschen in Kellern sitzen bei flackerndem Licht, hört Kinder weinen. Die Videos aus der Ukraine sind kaum je länger als einige Sekunden, sie kommen ohne Kontext und sie werden von Millionen meist sehr junger Menschen gesehen, geteilt, gelikt.
Ohne Kontext und Quellen
Tiktok, die Kurzvideoplattform aus China, beliebt geworden durch Musik-, Tanzvideos und ganz viel Nonsens, ist zum Ort der Livekriegsberichterstattung geworden. «The first Tiktok-War» titelte am Montag der «Guardian». Das Problem: Tiktok ist von allen Social Media-Plattformen nicht nur die jüngste sondern auch die anfälligste für Fakes. Die Videos kommen ohne Kontext, die Quellen sind oft nicht mehr nachvollziehbar. Es gibt kaum Einordnungen und die User sind es gewohnt, die Inhalte zu kopieren, zu verändern, um so möglichst viel Reichweite zu erzielen. Der Krieg wird zum gefragten «Content.» Denn Tiktok macht es seinen «Creators» äusserst einfach, über eine Spendenfunktion Geld einzusammeln – mit echten und eben auch gefälschten Livestreams. Dies wurde seit dem Beginn des Krieges von einer ganzen Reihe von Menschen genutzt, die noch nicht mal selbst in der Ukraine sassen, wie die BBC und die New York Time aufdeckten. So wurden ältere Aufnahmen aus anderen Konflikten mit Tonspuren aus der Ukraine zusammengeschnitten, um damit abzukassieren.
Alte Inalte werden neu geteilt
Die Komikerin Abbie Richards,die sich auf TikTok mit Falschinformationen beschäftigt, sagt in ihrem neuesten Video, dass es den Algorithmus einer Plattform befeuern kann, wenn Nutzerinnen und Nutzer ein älteres Video plötzlich so kommentieren, als wäre es aktuell und aus der Ukraine. Als Beispiel zeigt sie einen Clip, der eigentlich aus Kasachstan stammt.
Der Journalist Marcus Bösch verweistin seinem jüngsten Newsletterauf ein TikTok-Video mit einem Fallschirmspringer in Militärkleidung, das laut dem Top-Kommentar angeblich eine Invasion zeigt. Auf TikTok ist der Cliprund 20 Millionen Mal aufgerufen worden. Letztlich ist der Kommentar aber Quatsch: Das Video wurdebereits 2015 auf Instagram hochgeladen, von einem Nutzer mit demselben Namen.
Aber auf Tiktok melden sich gerade auch viele junge Russinnen und Russen lautstark gegen den Krieg zu Wort. Sie machen Stimmung gegen Putin und riskieren ihre eigene Freiheit.