
Kosovarische Rentnerinnen werden bei Autoversicherung geschröpft: Nationalrat will Prämien nach Herkunft verbieten
Liridona Dizari stammt aus dem Kosovo. Die junge Pflegefachfrau hat sich schon seit längerer Zeit einbürgern lassen. Sie kann damit nicht nur wählen und abstimmen, sondern schont auch das Familienbudget: Bei der Fahrzeugversicherung spart Dizari jährlich Hunderte Franken. Das hat sie realisiert, als sie sich bei Kolleginnen und Kollegen aus ihrem Herkunftsland umhörte. Die Prämienunterschiede seien ein Ärgernis und diskriminierend, sagt sie gegenüber CH Media.
Die Tarifgestaltung mit der Nationalität als Kriterium ist seit Jahren ein Medienthema. Erst im vergangenen Jahr sorgte eine Analyse des Vergleichdienstes Comparis für Schlagzeilen. Demnach entrichten zum Beispiel Junglenker aus dem Kosovo und Nordmazedonien (je plus 74 Prozent) sowie der Türkei (plus 73 Prozent) massiv mehr Prämien für eine Vollkaskoversicherung für einen Mercedes-Benz GLC als Schweizer.
Die wenigsten 20-Jährigen dürften am Steuer eines Autos der gehobenen Klasse über Schweizer Strassen kurven. Also hat die Pflegefachfrau den Prämienrechner einer Versicherung mit den Daten einer pensionierten, im Kanton Luzern wohnhaften Frau gefüttert – einmal mit Schweizer, einmal mit kosovarischem Pass.
Das Ergebnis: Nicht nur bei Junglenkern, sondern auch bei Rentnerinnen gibt es eine Herkunftsstrafe. Zum Beispiel bei einer Vollkaskoversicherung für einen neuen VW Polo 1.0 TSI Basis spart die pensionierte Schweizerin gegenüber der pensionierten Kosovarin bei der Marktführerin Axa 738 Franken. Die Differenz beträgt 49 Prozent.
Hasan Candan beschäftigt sich seit längerer Zeit mit der Thematik der Fahrzeugversicherungsprämien. Der Luzerner SP-Nationalrat fordert: «Der Bundesrat muss diese Ungleichbehandlung aufgrund der Nationalität beenden.» Diese Art von Sippenhaft verletze das verfassungsmässige Prinzip des Schutzes vor Diskriminierung.

Bild: Gaetan Bally / KEYSTONE
In einer Interpellation fragt er den Bundesrat, ob er in einem ersten Schritt bereit sei, die Praxis der Versicherungen durch den Preisüberwacher und die Eidgenössische Rassismuskommission prüfen zu lassen. Candan gibt zu bedenken: «Wie Schweizer Bürger auch sind Menschen mit ausländischem Pass wegen der Arbeit, zum Beispiel in Care-Berufen, auf ein Auto angewiesen. Durch die höheren Versicherungsprämien wird ihre Kaufkraft auf ungerechtfertigte Weise geschwächt.»
Sind kosovarische Rentnerinnen gefährlicher für den Verkehr als Schweizer Pensionärinnen?
Wie kommen die unterschiedlichen Tarife zustande? Die Privatversicherer bieten risikogerechte Prämien an. «Dafür bilden sie Risikogruppen, die Risiken mit ähnlichen Merkmalen zusammenfassen», sagt Thilo Kleine, Mediensprecher des Schweizerischen Versicherungsverbandes. Wer zu einer Gruppe gehöre, die ein statistisch höheres Risiko aufweise und demnach voraussichtlich mehr Leistungen beziehe, bezahle auch höhere Prämien. Und: «Ein statistisch höheres Risiko besteht dann, wenn eine Risikogruppe signifikant mehr oder teurere Schäden verursacht als die Vergleichsgruppe.» In die Berechnungen fliessen Merkmale ein wie Nationalität, Alter, Geschlecht, Wohnort, Autotyp, Fahrpraxis oder auch Ausweisentzüge.
Axa-Sprecherin Marion Fehr ergänzt: «Es ist eine Tatsache, dass gewisse Merkmale statistisch gesehen einen signifikanten Einfluss auf die Schadenhäufigkeit und das Schadensausmass haben.» Unter Schweizer Versicherern sei es üblich, diese Unterschiede gemäss dem Verursacherprinzip in den Prämien abzubilden. Würden die Prämien ohne Berücksichtigung der Schadensstatistik vereinheitlicht, würden Personengruppen mit weniger Unfällen jene mit vielen Unfällen querfinanzieren, sagt Fehr. Die Nationalität sei eines von mehreren Kriterien zur Berechnung der Autoversicherungsprämie.
Umgemünzt auf das Beispiel mit dem Prämienrechner würde das bedeuten: Kosovarische Rentnerinnen fahren viel gefährlicher als Schweizerinnen im AHV-Alter. Hasan Candan bezweifelt das. Er verlangt, dass die Versicherer ihre statistischen Grundlagen offenlegen müssen und ermuntert den Bundesrat dazu, das Gesetz entsprechend anzupassen. Falls dieser keinen Handlungsbedarf ortet, kann sich Candan vorstellen, den Druck mit weiteren Vorstössen aufrechtzuerhalten.
Der Bundesrat verteidigt gegenwärtige Praxis
Sind die Autoversicherungsprämien diskriminierend? Diese Frage hat sich auch schon die Finma gestellt. Es gehört zu den Aufgaben der Finanzmarktaufsicht, zu prüfen, ob die Versicherungstarife rechtskonform und diskriminierungsfrei gestaltet werden. Die Finma habe diverse Einzelfälle geprüft und dabei kein missbräuchliches Verhalten der Versicherer festgestellt, sagt eine Sprecherin. Es gebe aus Sicht der Finma aktuell keine Anzeichen für eine diskriminierende Praxis.
Giulia Reimann von der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus hingegen sagt, es sei rechtlich gesehen heikel, schlechtere Vertragsbedingungen einzig aufgrund der nationalen Herkunft vorzusehen. Die Praxis sei besonders dort als diskriminierend einzustufen, «wo durch die Bildung von Risikogruppen bestehende gesellschaftliche Stereotype und struktureller Rassismus aufrechterhalten werden und somit die Gefahr der Stigmatisierung gross ist».
Der Bundesrat hat das geltende Regime in der Vergangenheit mehrmals verteidigt. «Die herrschende Lehre und Praxis anerkennen, dass Unterscheidungen aufgrund der Staatsangehörigkeit nicht per se eine Diskriminierung darstellen, sondern sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung eigener und fremder Staatsangehöriger gestatten», schrieb er etwa 2012 in seiner Antwort auf einenVorstoss.
Sechs Jahre zuvor hatte es der Nationalrat abgelehnt, die Staatsangehörigkeit aus der Risikoberechnung zu entfernen. Ein Argument lautete: Die unterschiedlichen Tarife fussen nicht auf Vorurteilen, sondern statistischen Daten. Der damalige Finanzminister Hans-Rudolf Merz sagte: Die «ungleichen Prämien halten deshalb vor dem Gebot der Rechtsgleichheit stand.»
Candan widerspricht dieser Einschätzung – und betont, dass in der EU die Versicherungstarife nicht aufgrund der Herkunft berechnet werden dürfen.