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Raketenangriff auf Sumy: Aargauerin leistete dort jahrelang humanitäre Hilfe – und befürchtet das Schlimmste

Marianne Piffaretti aus Wohlen ist Ehrenbürgerin der nordukrainischen Stadt. Sie hat fast täglich Kontakt mit Personen aus Sumy – auch nach dem jüngsten russischen Angriff. Die ehemalige Aargauer Grossrätin befürchtet, dass die Ukraine Gebiete verlieren wird.

Am Sonntagmorgen schlugen zwei Raketen mitten im Zentrum der ukrainischen Stadt Sumy ein. Mindestens 34 Personen starben, darunter auch Kinder, über 100 Personen wurden nach Angaben der ukrainischen Regierung verletzt. Viele von ihnen waren offenbar auf dem Weg in die Kirche. Es ist der zweite Angriff innert etwas mehr als einer Woche, der eine so grosse Zahl an zivilen Opfern fordert.

Sumy – jene Grosstadt, die nun in den Schlagzeilen steht und nur 50 Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt – war schon früher immer wieder Ziel von Luftangriffen. Die Wohlerin Marianne Piffaretti steht fast täglich mit Leuten vor Ort im Kontakt. Vor dem Krieg war sie als Präsidentin des Vereins Help-Point Sumy unzählige Male in der Region unterwegs, um Hilfsgüter zu verteilen. 2009 hatte sie der damalige Gouverneur zur Ehrenbürgerin ernannt.

Viele Spitäler sind bereits beschädigt

Piffaretti zeigt sich erschüttert über den jüngsten Angriff des russischen Militärs. «Man versteht es einfach nicht. Mir tun die Leute so leid, sie können nichts dafür», sagt die ehemalige Grossrätin und Gemeinderätin von Wohlen am Telefon. Die Spitäler in der Stadt seien schon vorher beschädigt gewesen. «Teilweise haben sie keine Fenster mehr, die Druckwellen haben sie zerstört.»

Eine der engsten Vertrauten der heute 85-Jährigen ist eine Ärztin. Mit ihr telefoniert sie regelmässig. Und auch mit dem Ehemann der Ukrainerin, der damals zwischen 2003 und 2020 für die Regierung arbeitete und Piffarettis Ansprechpartner war für die humanitäre Hilfe. Ihre Freundin sei eigentlich Chirurgin im Kinderspital, doch nun müsse sie dort einspringen, wo sie am meisten gebraucht werde.

Sorgen, dass es zu wenig Operationsmaterialien gebe, macht sich Piffaretti keine. Was das angehe, sei die ukrainische Regierung gut organisiert, auch das Rote Kreuz biete Unterstützung, sagt sie. Das grosse Problem sieht sie bei der fehlenden Infrastruktur. Beim letzten Telefonat mit dem Ehepaar sprach sie über ein Altersheim, das bei einem Angriff stark zerstört wurde. Die überlebenden Bewohnerinnen und Bewohner seien nun auf die Spitäler verteilt worden.

Bei Nachrichten ist Vorsicht geboten

Piffaretti hat viele Krankenhäuser und Heime auf ihren Reisen besucht. «Ich war in fast jedem Dorf», erzählt sie. Schon seien die Standards niedrig gewesen. Die Wohlerin fragte das Personal, was am dringendsten gebraucht wird. Oft waren es Spitalbetten, «damit die Operierten wenigstens anständig liegen konnten». Der Verein verteilte rund 4000 ausgemusterte Betten aus der Schweiz in der Region. 2022 löste er sich auf, weil die Hilfslieferungen wegen der Pandemie und der politischen Lage immer komplizierter wurden.

Sachspenden würden im Moment ohnehin nicht viel helfen, sagt Piffaretti. Zuerst müssten all die Gebäude, die die Russen zerstört hätten, wieder aufgebaut werden. «Manchmal denke ich, es kommt nicht gut für die Ukraine», sagt sie nachdenklich. Es scheine fast schon unumgänglich, dass Gebiete an die Russen übergingen. «Auch wenn ich mir das natürlich nicht wünsche, dann wären all die gefallenen Personen für nichts gewesen», sagt sie.

Dass sie von der Schweiz nicht helfen kann, beschäftigt die Wohlerin. Am liebsten würde sie sofort nach Sumy reisen. Doch das geht nicht wegen des Krieges und auch, weil es ihre Gesundheit nicht zulässt. Sie hat mehrere Operationen hinter sich, eine weitere steht bevor. Das Einzige, was sie tun könne, sei ihren ukrainischen Freunden zu schreiben, dass sie an sie denke, sagt Piffaretti. Aber selbst dann müsse sie sich gut überlegen, was sie schreibe, um sie nicht noch in grössere Schwierigkeiten zu bringen.