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Das talentierteste Team Europas: Der ZSC-Sieg ist auch ein Befreiungsschlag für den Trainer

Die ZSC Lions lösen die schwierigste Aufgabe im Playoff-Final – mindestens ein Auswärtssieg – gleich im ersten Spiel. Der Weg zur Titelverteidigung ist nun offen.

Alles ist dieses Mal anders. Eigentlich kommt der ersten Finalpartie noch keine entscheidende Bedeutung zu. Die Wegstrecke zur Meisterfeier ist nach einem von vier notwendigen Siegen noch lang und mühselig. Also beginnen beide Teams einen Final mit angezogener Handbremse. Niemand deckt gleich am Anfang schon alle Karten auf.

Aber am Dienstag war bei der ersten Final-Partie alles anders. Die ZSC Lions können den Titel nur verteidigen, wenn sie mindestens ein Spiel in Lausanne gewinnen. Also dort, wo sie vor einem Jahr alle drei Finalpartien verloren haben. Sie verdankten die Meisterschaft den vier Heimsiegen. Aber nun hat Lausanne als Qualifikationssieger das Heimrecht. Ein Auswärtssieg ist für die Zürcher der Schlüssel zum erneuten meisterlichen Triumph.

Die Art und Weise, wie die ZSC Lions diesen ersten Auswärtssieg gleich zum Auftakt eingefahren und Lausanne den Heimvorteil abgenommen haben, ist beeindruckend. Ein Triumph wie ein Befreiungsschlag. Für die Mannschaft und vor allem auch für Trainer Marco Bayer (52). Er hat zwar den Vertrag bereits verlängert. Aber Sportchef Sven Leuenberger (55) lässt es offen, ob Marco Bayer nächste Saison erneut die ZSC Lions coachen darf oder zum Farmteam (GCK Lions) zurückkehren muss.

Leuenberger hat die Situation mit der ihm eigenen Gelassenheit so auf den Punkt gebracht: «Entweder müssen wir für nächste Saison einen neuen Trainer für die ZSC Lions oder für die GCK Lions suchen…» Er gilt als smartester Sportchef und hat bereits beim SCB mehrere Meisterteams gebaut. In Zürich ist seine Bilanz seit 2017 ebenso beeindruckend: Meister 2018 und 2024, Champions League-Sieger 2025.

Er weiss zwar, wie gut Schweizer Trainer sein können. Sein Bruder Lars Leuenberger (50) ist 2016 mit dem SCB Meister geworden, hat soeben mit Gottéron den Spengler Cup geholt und den SCB im Viertelfinal aus den Playoffs gekippt. Aber ein helvetischer «Bandengeneral» bei den ZSC Lions? Da war der ZSC-Sportchef bisher eher skeptisch. Sein bevorzugter Trainertyp ist der charismatische Nordamerikaner, gerne mit NHL-Erfahrung. Wie zuletzt Marc Crawford (65), der das Traineramt aus gesundheitlichen Gründen Ende Dezember Marco Bayer übergeben hat.

Mehr Buchhalter Nötzli als Schawinski

Die Trainerfrage für nächste Saison kann nicht während den laufenden Playoffs diskutiert werden. Aber allen ist klar: Während der Playoffs kommt es zum Offenbarungseid für Marco Bayer. Taugt er zum ZSC-Trainer oder nicht? Diese Frage wird definitiv in diesen Tagen beantwortet. Seine Mannschaft ist wahrscheinlich die talentierteste in Europa. Das macht es keineswegs einfacher. Es ist schwierig, Chef zu sein von einer Interessengemeinschaft junger Männer, die teilweise doppelt so viel verdienen und dazu gebracht werden müssen, wenn erforderlich über die Leistungsgrenzen hinauszugehen. Manchmal ist es einfacher, ein untalentiertes Team zu führen.

Sven Andrighetto feiert sein Tor zum 3:0.
Bild: Salvatore Di Nolfi/Keystone

Marco Bayer hat bereits den Halbfinal und den Final der Champions Hockey League gewonnen. Nun ist es ihm gelungen seinen klar favorisierten Spielern im Laufe der Playoffs klarzumachen, dass es auf nationaler Ebene mit spielerischen Mitteln allein nicht reicht. Seit der sechsten Halbfinalpartie in Davos oben (6:4) – also gerade noch rechtzeitig – haben die Zürcher auf Playoff-Hockey mit dem richtigen Mix aus Kunst und Rumpeln, Intensität und Kreativität umgestellt. Sie waren nun in Lausanne zum Final-Auftakt dazu in der Lage, ihr überlegenes Talent sofort zu entfalten. Weil sie die Zweikämpfe auf offenem Eis und entlang den Banden, vor dem eigenen und vor dem gegnerischen Tor jederzeit dominierten. Sie waren dazu in der Lage, Eishockey zu spielen und zu arbeiten.

Marco Bayer mag auf der Zürcher Charisma-Skala Buchhalter Nötzli näherstehen als Roger Schawinski. Auch deshalb wird oft unterschätzt, wie viel Erfahrung er als Spieler (über 800 Partien in der höchsten Liga) und während der letzten 15 Jahre im Trainerhandwerk als Assistent, Sportchef, Junioren-Nationalcoach und zuletzt bei den GCK Lions gesammelt hat. Welch immenses Wissen er aus seinem dicht gewobenen Beziehungsnetz zu ziehen vermag und wie schlau er im Umgang mit den sensiblen Egoisten in der Kabine sein kann.

Dieser Sieg im ersten Finalspiel in Lausanne ist für den Verkannten, den Unterschätzten wie ein Befreiungsschlag. Der Weg zur Titelverteidigung ist nun offen. Und dürfte auch die Trainerfrage bei den ZSC Lions gelöst haben: Es gibt keinen Grund mehr, Marco Bayer nächste Saison zum Farmteam zurückzuschicken.

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