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Abgase stören nachts die Kommunikation zwischen Pflanzen und Insekten

Luftschadstoffe können Duftstoffe zerstören, mit denen Blüten Nachtfalter zum Bestäuben anlocken. Das ist aber nur ein Problem von vielen, mit denen Insekten zu kämpfen haben.

Luftschadstoffe gefährden nicht nur die Gesundheit von Menschen und Wäldern, sondern stören auch die Kommunikation zwischen Pflanzen und Insekten, die vom Blütenduft angelockt den Gewächsen bei ihrer Vermehrung helfen. Das schliesst eine Forschungsgruppe um Jeffrey Riffell von der University of Washington im US-amerikanischen Seattle in der Zeitschrift «Science» aus Freiland- und Labor-Experimenten sowie Modell-Rechnungen. So zerstören die aus Auto-Abgasen entstandenen Nitrat-Radikale die Duftstoffe, mit denen die Helle Nachtkerze Oenothera pallida Insekten wie Nachtfalter zum Bestäuben anlockt.

«Das ist eine sehr interessante Studie», sagt Martin Wiemers. Der Biologe und Insektenforscher leitet am Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut (SDEI) in Müncheberg die Sektion Ökologie, war aber an der Veröffentlichung in Science nicht beteiligt. «Die Zusammenhänge zwischen Luftschadstoffen, Blütenduft und den damit angelockten Insekten wurden bisher noch nicht umfassend untersucht», erklärt Wiemers. Und weiter: «Allerdings wissen wir noch nicht, welche Rolle solche Wirkungsketten in anderen Lebensräumen spielen.»

Untersucht hatte die Gruppe um Jeffrey Riffell die Helle Nachtkerze, deren Duftstoffe in den trockenen Regionen im Osten des US-Staates Washington Insekten auch aus einigen Kilometern Entfernung anlocken. In ersten Experimenten hüllte das Team Blüten dieser Wüstenpflanze mit Beuteln ein und versperrte so Nachtfaltern den Weg. Die so von ihren wichtigsten Bestäubern abgeschnittenen Pflanzen bildeten signifikant weniger Früchte als Kontrollblüten, zu denen die Nachtschwärmer freien Zugang hatten.

Tagsüber bestäuben Wildbienen die Blüten der hellen Nachtkerze
Bild: Jeremy Chan

Offensichtlich spielen im Dunklen diese Falter und tagsüber bestimmte Wildbienen eine wichtige Rolle beim Bestäuben. Da die Nachtfalter die Blüten vor allem mit Hilfe ihres Geruchs finden, fing die Gruppe die meist aus einer Reihe unterschiedlicher Komponenten bestehenden Duftstoffe ein und analysierte ihre Zusammensetzung. Ins Auge stachen dabei vor allem Monoterpene, auf die Nachtschwärmer in weiteren Untersuchungen besonders stark reagierten. «Da sich Nachtfalter nur schlecht untersuchen lassen, sind solche Ergebnisse besonders interessant», erklärt der SDEI-Forscher.

Radikale aus Abgasen reichern sich in der Nacht an

Wie aber reagieren diese Duftstoffe auf Luftschadstoffe? Besonders wichtig sind in diesem Fall Nitrat-Radikale, die oft aus den in Abgasen von Dieselautos und Schiffen enthaltenen Stickoxiden entstehen. Tagsüber werden die Radikale im Sonnenlicht rasch abgebaut, reichern sich in der Nacht aber stark an. Ausgerechnet die für Nachtfalter so wichtigen Monoterpene werden nach Labor-Experimenten der US-Forschungsgruppe rasch oxidiert und damit praktisch zerstört, während andere Bestandteile der Duftstoffe viel weniger empfindlich reagieren.

Fehlen diese Monoterpene, finden die Nachtfalter den Weg zu den Blüten viel schlechter, zeigen weitere, teils sehr aufwendige Untersuchungen in der Natur und im Windkanal. Das aber hat gravierende Auswirkungen: In einer weiteren Reihe von Experimenten zum Beispiel mit künstlichen Blüten, die das mit Nitrat-Radikalen behandelte Blüten-Aroma der Hellen Nachtkerze verströmten, stürzte die Besuchsquote der Nachtschwärmer um rund 70 Prozent im Vergleich mit dem unbehandelten Duftstoff-Gemisch ab. Werden die Blüten dadurch seltener bestäubt, sollten die Pflanzen auch weniger Früchte bilden, und ihr Fortpflanzungserfolg könnte sinken, argumentieren Jeffrey Riffell und sein Team.

Mit Modell-Rechnungen zeigt die Gruppe dann zusätzlich, dass in vielen Regionen der Welt wie zum Beispiel in Mittel- und Westeuropa, oder auch in Nordamerika und in Teilen Asiens genug Nitrat-Radikale entstehen, um die Entfernung, in der die Nachtfalter den Blütenduft noch riechen, von einigen Kilometern auf unter 400 Meter zu senken. In den am dichtesten besiedelten Regionen der Welt ist nach einer weiteren Modellrechnung daher die Distanz, in der Nachtschwärmer den Blütenduft noch erschnuppern, auf weniger als ein Viertel der Werte gesunken, die vor der Industrialisierung möglich waren.

Heimische Insekten sind weniger auf Duftstoffe angewiesen

Ob Luftschadstoffe wie Nitrat-Radikale aber die Erträge von Apfel-Plantagen und vielen anderen von bestäubenden Insekten mehr oder weniger abhängigen Agrarprodukten tatsächlich stark beeinträchtigen, ist allerdings eine völlig andere Frage. «So sind in Mitteleuropa Obstplantagen und andere Agrarflächen viel kleinräumiger als die oft weit voneinander entfernt blühenden Nachtkerzen in den Trockengebieten Nordamerikas», erklärt Martin Wiemers. «Tatsächlich zeigen Freiland-Untersuchungen dann auch, dass viele der bestäubenden Insekten zeitlebens innerhalb eines relativ kleinen Gebietes bleiben», schildert der Senckenberg-Forscher weiter. Und da können die hierzulande fürs Bestäuben wichtigen Bienen und Hummeln oft auch auf Sicht fliegen und sind daher weniger auf Duftstoffe angewiesen, die über grosse Entfernungen die Richtung zu interessanten Blüten weisen.

Natürlich könnten Luftschadstoffe, die wichtige Komponenten von Blütendüften abbauen, auch eine Rolle beim Insektensterben spielen. «Dabei spielen allerdings sehr viele Faktoren eine Rolle, von denen die Geruchsstoffe vermutlich nicht an vorderster Stelle stehen», ordnet Martin Wiemers in diesem Bereich die Zusammenhänge ein. «Da sind andere Dinge wie vor allem die Form der Landnutzung und Agrarwirtschaft viel wichtiger», erklärt der Senckenberg-Forscher abschliessend.