Als Kaspar Villiger einen Fussgängerstreifen auf die Aarauer Bahnhofstrasse pinselte
Mit Kessel und Pinsel sollen sie losgezogen sein, zu nächtlicher Stunde. Eine Gruppe junger Männer, allesamt Mitglieder der Kantonsschülerverbindung Argovia, beseelt von ihrer Mission: Mit gelber Farbe malten sie einen Fussgängerstreifen auf die Aarauer Bahnhofstrasse und stellten so die Behörden vor vollendete Tatsachen. Es schien ihnen wohl das einzige verbleibende Mittel, um sicheren Fusses vom Bahnhof her über die Strasse auf das Gelände der Alten Kanti zu gelangen.
Ein neckisches Schmankerl, passend erfunden anlässlich des frisch eingeführten Tempo-30-Regimes auf der Aarauer Bahnhofstrasse? So als Aufheiterung verärgerter Mitmenschen? Keineswegs. Das Ereignis ist zwar weder in den Chroniken der Neujahrsblätter noch in den Stadtratsakten vermerkt, doch einer der Buben von damals wurde später Bundespräsident. Und als solcher hat er die Geschichte anlässlich des 200-Jahr-Jubiläums der Kantonsschule Aarau 2002 in der Aargauer Zeitung zum Besten gegeben: Kaspar Villiger v/o Micky.
Es blieb bei der Putzstrafe
Das Werk blieb den Kantischülerinnen und -schülern nicht lange erhalten. Als Strafe hätten sie den Streifen auch selber wieder entfernen müssen, erzählt Villiger: «Dies erledigten wir natürlich am helllichten Tag.» Die Bahnhofstrasse musste dafür wohl gesperrt werden. «Wir legten uns damals mit dem Recht an im Bewusstsein, dass wir recht hatten», so Villiger. Ausser der von der Polizei verordneten Putzaktion habe die Tat aber keine weiteren Konsequenzen gehabt.
Die Geschichte machte damals Ende der Fünfzigerjahre natürlich die Runde. Bruno Nüsperli, alter Schulkamerad von Villiger, kennt sie auch. Nur aus Erzählungen, wie er sagt, er sei schliesslich bei der Zofingia gewesen. «Aber ich erinnere mich genau: Der Streifen führte vor dem Haupteingang zum Schwanenpark, wie der heutige Kantipark ursprünglich hiess, hinüber zum ehemaligen Restaurant Landhaus, flankiert vom Feldschlösschen-Bierdepot mit Flaschen-Abfüllanlage, über die schon damals stark befahrene Bahnhofstrasse.» Eine Querungshilfe in Form zweier gelber seitlicher Linien seien es gewesen, er habe es noch vor Augen.
Um Scherze waren sie nie verlegen
Für Aktionen dieser Art in den Reihen der Verbindungen ist Nüsperli quasi Fachmann: Er führt unter dem Titel «Aus dem Leben eines Taugenichts» seit 70 Jahren Buch über selbst erlebte oder geplante Scherze. Zusammengekommen sind weit über 100, ein gutes Dutzend betrifft allein den Raum Bahnhof.
Ein besonders Schöner, eingefädelt Ende der Sechzigerjahre, als die WSB schon nicht mehr auf der Bahnhofstrasse fuhr: «Ich dachte mir, da müsste man doch ein kleines Wägelchen in einem der beiden Gleise fahren lassen können», so Nüsperli. Also baute er ein Drahtgefährt mit Drehlicht obendrauf, das auf zwei Ovomaltinebüchsen fuhr. Es war ein warmer Sommerabend, die Bahnhofstrasse belebt, erinnert sich Nüsperli. Insbesondere die italienischen Gastarbeiter hatten einen Heidenspass an dem Gefährt, das sich unbeirrt von den ausweichenden Autos durch die Strasse schob. Eine Zweierpatrouille der Stadtpolizei wurde auf das Gefährt aufmerksam, spurtete ihm nach und beschlagnahmte es unter den lauten Kommentaren der Passanten, so Nüsperli. Er habe das Gefährt nie mehr gesehen, geschweige denn irgendeine Konsequenz zu spüren bekommen. Und heute ist ja zum Glück alles längst verjährt.