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Wiederholungstäter ist nicht in Haft – die Staatsanwaltschaft steht vor einem Problem

Ein Mann wurde in Aarau mit einem gestohlenen Velo erwischt. Er ist mehrfach vorbestraft. Trotzdem kann ihn die Staatsanwaltschaft nicht in Untersuchungshaft setzen. Wieso?

Die Patrouille der Kantonspolizei, die am Freitagnachmittag vor knapp zwei Wochen in Aarau unterwegs war, roch den Braten gleich. Der Mann, den sie auf einem E-Bike sahen, war ihnen bekannt. Der 44-jährige Schweizer hat keinen festen Wohnsitz und ist, so ergaben Recherchen der AZ, mehrfach vorbestraft. Die Polizei nennt das in ihrer zugehörigen Mitteilung «einschlägig polizeibekannt».

Dass er ein teures E-Bike besitzt, ist unwahrscheinlich. Und genau deswegen wollten ihn die Polizisten anhalten. Zwar fuhr der Verdächtige zunächst davon, wenig später konnte ihn die Polizei dann aber doch noch aufgreifen. Bei der Kontrolle gab der Mann an, das E-Bike (mit Zürcher Kontrollschild) in Olten gestohlen zu haben. Nach wie vor ist nicht bekannt, wem es tatsächlich gehört. Der rechtmässige Besitzer konnte trotz Zeugenaufruf nicht gefunden werden.

Der Verdächtigte ist nicht nur den Polizisten bekannt, sondern auch dem Personal von Läden in der Aarauer Innenstadt. Auf Anfrage der AZ bestätigt die Staatsanwaltschaft: Der Mann wird derzeit verdächtigt, mehrere Diebstähle begangen zu haben. «Zum Schutz der Persönlichkeit des Mannes» nimmt die Staatsanwaltschaft keine Stellung zu Vorstrafen, zur Motivlage – dem Vernehmen nach soll es sich um Beschaffungskriminalität handeln – und zur Art der Güter, die der Mann stiehlt. Aber sie beantwortet die Frage, weshalb er nicht in Untersuchungshaft sitzt.

Vermögensdelikte sind laut Gericht nicht schlimm genug

«Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte stehen in solchen Fällen vor einem Problem», führt Staatsanwalts-Sprecher Adrian Schuler aus. Zwar kann die Polizei eine Person verhaften, die verdächtigt wird, mehrfach Diebstähle begangen zu haben. Die Staatsanwaltschaft muss dann aber beim Zwangsmassnahmengericht Antrag auf Untersuchungshaft stellen.

Voraussetzung für die Untersuchungshaft ist erstens ein dringender Tatverdacht. Dann braucht es aber auch noch die Indikationen «Fluchtgefahr», «Verdunkelungsgefahr» – also etwa das Beiseiteschaffen von Beweisen – oder «Wiederholungsgefahr».

Trotzdem werden die Anträge auf Untersuchungshaft bei Vermögensdelikten wie Diebstählen «fast immer abgewiesen», so Schuler: «Das Zwangsmassnahmengericht begründet dies jeweils damit, dass reine Vermögensdelikte keine ausreichend schädigende Wirkung hätten, da sie die Sicherheit der Geschädigten nicht unmittelbar und erheblich gefährden würden. Das heisst, dass in solchen Fällen der besondere Haftgrund der Wiederholungsgefahr aus Sicht der Gerichte nicht erfüllt ist.»

Polizei und Staatsanwaltschaft könnten diese Begründung «vor dem Hintergrund der bundesgerichtlichen Rechtsprechung» zwar nachvollziehen, so Schuler. «Trotzdem möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass uns solche Fälle enorm viele Ressourcen binden. Sämtliche Straftaten müssen auch bei mehrmaliger Wiederholung durch die Polizei korrekt aufgenommen und rapportiert sowie durch die Staatsanwaltschaft abgehandelt werden.» Kommen regelmässig neue Straftaten hinzu, ziehe das ein Verfahren entsprechend in die Länge. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung, bei der das Gericht letztlich eine Haftstrafe verhängen kann, bleibt die Person in Freiheit.

Staatsanwaltschaft kann sich nicht wehren

Schuler weist ausserdem auf ein weiteres Problem hin, das aufgrund einer Änderung der Strafprozessordnung im Jahr 2023 besteht: Wenn das Zwangsmassnahmengericht die Anträge auf Untersuchungshaft ablehnt, können die Staatsanwaltschaften dagegen kein Rechtsmittel ergreifen. Im Gegensatz zum Beschuldigten, der sich gegen einen Haftentscheid wehren könnte.

Gerade in Fällen wie dem beschriebenen würde sich die Staatsanwaltschaft gerne gegen die Nichtgewährung von Untersuchungshaft wehren, so der Sprecher, um vor der nächsten Instanz darlegen zu können, aus welchen Gründen in solchen Fällen die Anordnung von Untersuchungshaft durchaus zielführend wäre.

Gewerbetreibenden, die wiederholt von Diebstählen betroffen sind, bleibt derweil nur, konsequent Anzeige zu erstatten. Auch das Aussprechen von Hausverboten sei «in solchen Fällen sicherlich eine Möglichkeit», sagt Schuler. Er gibt aber zu bedenken: «Solange sich weder die Rechtsprechung noch die Gesetzeslage in Bezug auf den besonderen Haftgrund der Wiederholungsgefahr ändert, können Polizei und Staatsanwaltschaft lediglich die Anzeigen abarbeiten und nach Abschluss aller Untersuchungshandlungen Anklage beim Gericht erheben.»