Mit freien Schulen gegen Lehrermangel und volle Sonderschulen?
Im Aargau gilt, wie überall in der Schweiz, die Schulpflicht. Kinder, die bis zum 31. Juli 2023 das vierte Altersjahr vollendet haben, starten im August 2023 ihre Schulkarriere. Zwei Jahre Kindergarten, sechs Jahre Primarschule und drei Jahre Oberstufe liegen vor ihnen. In den allermeisten Fällen absolvieren sie ihre Pflicht an ihrem Wohnort oder in ihrem Schulkreis. Dafür kommen die Gemeinde und der Kanton auf. Wählen die Eltern aber, aus irgendeinem Grund, eine andere Schule für ihr Kind, berappen sie das selber.
So sieht es das Gesetz vor. Und so möchte es der Regierungsrat auch beibehalten. «Summa summarum ist der Regierungsrat überzeugt davon, dass die Volksschule und damit die Schulpflicht am Wohnort oder Schulkreis für den Kanton Aargau die beste Form ist, um das in der Bundesverfassung verbriefte Recht auf Bildung umzusetzen.» Das hielt die Regierung im November letzten Jahres fest, in der Antwort auf einen Vorstoss von FDP-Grossrat Adrian Meier.
Konkurrenz beeinflusst Qualität
Dieser stellte Fragen zur freien Schulwahl innerhalb der Volksschule. Es wäre ein Ausdruck für eine liberale Gesellschaft, wäre der Wohnort nicht das einzige Entscheidungskriterium für den Ausbildungsplatz, meinte Meier. Nicht nur Eltern und Kindern käme das zugute, es würde auch den Wettbewerb verändern. Für Schulen entstünde ein Anreiz, sich noch stärker auf die Bedürfnisse der Schülerinnen, Schülern und Eltern auszurichten. Das würde die Qualität des Angebots positiv beeinflussen.
Dem widerspricht der Regierungsrat nicht, Beispiele aus anderen Ländern zeigten jedoch auch, dass sich im System der freien Schulwahl die qualitativen Unterschiede zwischen den einzelnen Schulen tendenziell vergrösserten, antwortet er. Die Chancengleichheit wäre mit einer freien Schulwahl also gefährdet, ein flächendeckendes gleichwertiges Angebot wäre kaum möglich.
«Es ist nachvollziehbar, dass der Regierungsrat diese Haltung einnimmt. Schliesslich geht es um seine Schulen», sagt Markus Lang, Grossrat der Grünliberalen (GLP). Auch er hat Fragen zur freien Schulwahl, geht allerdings einen Schritt weiter als sein FDP-Kollege und stellt sie auch ausserhalb des Systems Volksschule zur Diskussion. Die abweisende Haltung der Regierung vor erst einem guten Jahr hält ihn davon nicht ab.
Staatlich kontrolliert und finanziert, aber frei
«Ich verstehe, dass der Regierungsrat seine Position verteidigt. Aber ich nehme einen gesellschaftlichen Druck in diesen Fragen wahr», sagt Lang. Neben Privatschulen und den staatlichen Schulen stellt er eine weitere Möglichkeit zur Debatte: die freien Schulen. Diese würden staatlich kontrolliert und auch finanziert, wären in ihrer pädagogischen Ausrichtung aber ungebunden. Sie sind nicht gewinnorientiert, haben aber eine freie Trägerschaft und sind zugänglich für alle Lernenden.
Einige europäische Länder kennen die freie Schulwahl zwischen staatlichen und privaten Schulen. Dabei werden, anders als in der Schweiz, beide Schulformen vom Staat finanziert und kontrolliert. In den Niederlanden seien so zahlreiche Privatschulen entstanden, welche unterschiedlichste pädagogische Methoden umsetzen. Eltern hätten dadurch die Möglichkeit, Schulen auszuwählen, die den Bedürfnissen ihrer Kinder entsprechen, schreibt Lang in seinem Vorstoss.
Unter anderem der Verein Elternlobby Schweiz will in der Schweiz ein vergleichbares System schaffen. «Eine Idee wäre, mit Bildungsgutschriften eine Schulwahl zu ermöglichen», sagt Markus Lang. In der Volksschule kämen alternative pädagogische Grundlagen häufig eher zu kurz, das könnten dann freie Schulen auffangen.
Lang: Über den Tellerrand hinausschauen
«Ich fordere jetzt keinen Systemwechsel, aber es ist Zeit, über den Tellerrand hinauszuschauen», sagt der GLP-Grossrat, der selber Schulleiter ist. «Es knirscht in allen Balken, da muss man die Gesamtsituation anschauen und vielleicht überdenken.» Die Probleme der Volksschule seien offensichtlich: der Lehrpersonenmangel, der Mangel an Heilpädagoginnen und anderen Fachkräften, der Platzmangel in den Sonderschulen. Diese würden durch den Kanton zwar durchaus angegangen ‒ allerdings innerhalb der Möglichkeiten des bestehenden Systems. «Da müsste man den Fokus aufmachen», so Lang.
Freie Schulen könnten für Lehrpersonen attraktive Arbeitgeber sein, für Kinder mit besonderen Bedürfnissen der ideale Lernort. «Eine Konkurrenz zur Volksschule müsste dieser nicht schaden.»
Vom Regierungsrat erhofft sich Lang konkretere Antworten, als er auf den FDP-Vorstoss gegeben habe. «Ich wünsche mir eine etwas tiefere Auseinandersetzung mit diesen Fragen. Denn wir brauchen Lösungen.»