«Lieber kaltes Wasser, dafür den Job behalten»: Was die Strommangellage für regionale Unternehmer bedeutet
Das Thema einer möglichen Strommangellage ist nicht zuletzt infolge der durch Russland provozierten europaweiten Gaskrise in aller Munde. So war das Kosthaus in Lenzburg beim Wirtschaftsgipfel der Partei Die Mitte Aargau am Dienstagabend denn auch bis auf den letzten Platz besetzt. Kein Wunder, ging es dabei doch vorab um die Herausforderungen, denen sich Firmen aufgrund des Ukraine-Kriegs stellen müssen, etwa bei der Energieversorgung. «Wir wissen nicht, was auf uns zukommt, worauf müssen wir uns gefasst machen?» Mit diesen Fragen eröffnete Mitte-Fraktionschef Alfons-Paul Kaufmann den Anlass.
Michael Liechti von der Erne AG Holzbau AG in Laufenburg geht es wie allen anderen: «Der Ukraine-Krieg kam von einem Tag auf den anderen.» Bei ihnen fehlte beispielsweise sofort die Sibirische Lärche, so Liechti in einem Inputreferat. Es galt, sogleich Ersatz zu suchen. Es mache sich jetzt bezahlt, wenn man vertrauensvoll miteinander umgeht, so Liechtis aktuelle Erfahrung.
«Müssen wie einst Grosseltern die Fähigkeit aufbringen, das durchzustehen»
Was tut seine Firma, falls tatsächlich zwischendurch für vier Stunden der Strom abgeschaltet wird? Er sehe das Engagement der Politik, sagt Liechti, den genauen Plan für den Umgang mit einer befürchteten Strommangellage im Winter sieht er aber noch nicht. Klar ist für ihn: «Wir wollen unabhängiger werden.» Seine Firma setzt auf Innovation und auf grosse Fotovoltaikanlagen auf den Dächern, setzt auch auf Grundwasserheizung. Liechti:
«Wir müssen die Fähigkeit aufbringen, die Krise durchzustehen, so wie es unsere Grosseltern auch geschafft haben.»
Liecht gibt sich zuversichtlich: «Wir sollten das als Chance sehen. Wir sind spät dran, es ist aber noch nicht zu spät.»
Lukas Ziegler, CEO der Firma Rollstar in Egliswil, sprach über Lieferketten, die rissen: «Zeitweise war es fast einfacher, Material zu fliegen als mit dem Schiff zu transportieren, die Rohmaterialpreise explodierten.» Zieglers Fazit: «Globalisierung funktioniert gut im Frieden, in einer Krise funktioniert es nicht mehr.»
Man habe ein grosses Rohmaterial-, aber auch Fertigteillager, auch wenn es viel Geld koste. Wichtig seien gute Partnerschaften mit Lieferanten. Er beobachtet, «dass es sich jetzt rächt, wenn jemand bisher immer nur am günstigsten Ort eingekauft hat».
Wie Liechti sieht aber auch Ziegler in der Krise Chancen: «Man kann in Schockstarre verfallen. Aber wir können selbst ganz viel bewegen. Wir müssen jedoch die Komfortzone verlassen und Neues versuchen.» Man dürfe dabei auch Fehler machen, aber jeden nur einmal, «dann kommen wir weiter».
In einem von Grossrätin Maja Bally geleiteten Podium legten auch Beat Bechtold (Direktor der Aargauischen Industrie- und Handelskammer), Marc Ritter (CEO der AEW Energie AG) und André Vossebein (Sektionsleiter Katastrophenvorsorge beim Kanton) ihre Erfahrungen und Erwartungen dar.
«Null-Covid-Strategie Chinas kann Lieferketten extrem tangieren»
Weil niemand weiss, wie lange der Krieg noch dauert, bereiten sich die Firmen vor, sagte Bechtold. Etliche kaufen Notstromaggregate und grosse Mengen Diesel dazu. Der Franken-Schock habe aber schon gezeigt, wie äusserst innovativ Aargauer Unternehmen auf Krisen reagieren.
Er sieht noch ein anderes grosses Risiko: «Die unsägliche Null-Covid-Strategie Chinas» könne die Lieferketten extrem tangieren. Dazu komme jetzt noch das chinesische Säbelrasseln wegen Taiwan: «Da könnte die Chipproblematik noch gewichtiger werden.»
«Dann hat auch das Kühlhaus keinen Strom mehr»
Der Bund werde viel Geld für eine Sparsensibilisierung einsetzen, das könne man machen, so Bechtold weiter. Wenn nötig könnten auch Rolltreppen, Klimaanlagen in öffentlichen Bauten stillstehen, Schwimmbäder nicht mehr beheizt werden. Er warnt aber, dass natürlich auch an energieintensiven Firmen viele Existenzen hängen.
Sein Credo im Notfall:
«Lieber kaltes Wasser, dafür den Job behalten.»
Es sei noch nicht allen klar, was es bedeutet, wenn tatsächlich immer für vier Stunden der Strom abgeschaltet werden sollte: «Dann hat auch das Spital und das Kühlhaus keinen Strom mehr und sie brauchen Generatoren.»
Bringt Frankreich AKW rechtzeitig wieder ans Netz?
Was geschieht, falls Deutschland und Frankreich der Schweiz im Winter keinen Strom mehr liefern? Das wollte Maja Bally wissen. Bei der fossilen Energie sei die Schweiz 100 Prozent vom Ausland abhängig, antwortete Ritter. Beim Strom «exportieren wir im Sommer, im Winter müssen wir schon seit Jahren importieren». Als wie wahrscheinlich schätzt er eine kommende Strommangellage ein: «Das Signal hat von Grün auf Orange gewechselt.» Sorge bereitet ihm, ob es gelingt, in Europa die Gasspeicher zu füllen. Zudem sei die Hälfte der französischen AKW nicht am Netz, aus geplanten oder ungeplanten (Korrosionsschäden) Gründen.
Die Versorgungssicherheit hänge von vielen Fragen ab, etwa davon, ob die Franzosen es schaffen, die stillstehenden AKW ab Oktober wieder am Netz zu haben? Oder wie kalt der Winter wird? Oder wie beeinträchtigt die Trockenheit den Flusstransport von Kohle für Kohlekraftwerke? Können die Pumpspeicherkraftwerke trotz langer Trockenheit ausreichend gefüllt werden? Im Fall von Abschaltungen gebe es systemrelevante Betriebe, etwa im Medizinbereich, so Ritter, die vom Abschaltregime ausgenommen würden.
Klar ist für André Vossebein, dass wir Strom einsparen müssen. Bei den übergeordneten Fragen habe hier aber der Bund das Sagen. Gewisse Verbrauchseinschränkungen werden es erst geben, wenn Energiesparen und das Umschalten von Gas auf Öl (wo das möglich ist) zu wenig helfen. Dann würden erst Rolltreppen abgestellt, die Weihnachtsbeleuchtung und erst zum Schluss käme die Stromversorgung selbst dran.
Abgestellt würde gewiss nicht wochenlang, es wäre jeweils für vier Stunden, so Vossebein. Er ruft auf, Ruhe zu bewahren, und empfiehlt: «Kluger Rat, Notvorrat.» Wenn letzteres trotz aller Bemühungen eintreffen sollte, ist für Ziegler klar: «Dann müssen wir die Suppe miteinander auslöffeln. Wir können nicht sagen, fangt bei den andern an, so würden wir das Problem nicht lösen.» Wenn es planbar wäre, dass es von 11 bis 14 h keinen Strom gäbe, «müssten wir mit einer früheren Früh- und einer späteren Spätschicht arbeiten».
Dieth: Zeit für Eventualplanungen nutzen
Schliesslich erinnerte Finanzdirektor Markus Dieth (Die Mitte) an die Coronapandemie. Dort sei man auf dem kalten Fuss erwischt worden. Dieth: «Wir nutzten die Chance, und lernten daraus. Jetzt wissen wir von der Wahrscheinlichkeit einer Strommangellage.
Es ist jetzt die Zeit, die möglichen Szenarien klar durchdenken, und die Zeit für Eventualplanungen zu nutzen.» Das sahen augenscheinlich alle Anwesenden so. Zustimmendes Nicken erntete auch Lukas Ziegler mit seiner Erwartung, «dass wir das alles nicht grad wieder vergessen, sobald es wieder besser geht, und dass wir nicht wieder ins bisherige Muster verfallen».