Biodiversität: Alle schiessen gegen die Bauern – doch was ist eigentlich mit den Städten?
Viele Bauern und Bäuerinnen haben die Plakate und Blachen aufgehängt: Sie warnen vor der Biodiversitätsinitiative. Der Schweizer Bauernverband engagiert sich an vorderster Front dagegen. Die Landwirtschaft sieht sich in die Rolle des Buhmanns gedrängt.
Die Initiative dreht sich indes – trotz ihres Namens – längst nicht nur um die Biodiversität. Im Initiativtext heisst es unter anderem auch, dass schutzwürdige Landschaften, Ortsbilder sowie Natur- und Kulturdenkmäler «bewahrt» werden müssen. Deshalb ruft beispielsweise der Schweizer Baumeisterverband zu einem Nein auf.
Und dennoch stellt sich die Frage: Ist es richtig, dass die Landwirtschaft so stark im Fokus steht, wenn es um die Biodiversität geht? Was ist mit den Betonwüsten in den Städten, all den asphaltierten Plätzen, den Strassen? Immerhin ist die Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten stark gewachsen. Man baute neue Häuser, neue Schulen, neue Strassen. Viel Grau statt Grün.
Die Siedlungsfläche hat zwischen 1985 und 2018 um fast ein Drittel zugenommen, wie das Bundesamt für Statistik schreibt. Trotzdem nimmt sie immer noch nur einen kleinen Teil der Landesfläche ein – konkret 8 Prozent. Dabei sind auch etwa Strassen und Industrieareale eingerechnet. Zum Vergleich:Als Landwirtschaftsflächen gelten 35 Prozent.
Viele Arten – aber ziemlich eintönig
«Die Landwirtschaft hat einen grossen Einfluss auf die Biodiversität, weil rund ein Drittel der Landesfläche landwirtschaftlich genutzt wird», sagt Florian Altermatt, Professor für Aquatische Ökologie an der Universität Zürich. «Eine weniger intensive Landwirtschaft hat darum auch das Potenzial, einen wichtigen Beitrag zur Biodiversität zu leisten – und würde selbst wiederum von dieser profitieren.»
Die Siedlungsfläche breitet sich vor allem im Mittelland aus. Der Landwirtschaft geht dadurch fruchtbares Land verloren. Für die Biodiversität ist der Effekt vor allem davon abhängig, ob die Fläche vorgängig schon sehr intensiv genutzt wurde oder nicht, wie Altermatt sagt. Je nachdem, was darauf gebaut wird – beispielsweise ein begrüntes, vielfältiges Quartier – , müsse es für die Biodiversität nicht unbedingt schlechter sein.
Und wie steht es eigentlich um die Biodiversität in Städten? Der Biologe und Biodiversitätsexperte Marco Moretti von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft sagt, der Biodiversität in den Städten scheine es relativ gut zu gehen. Es fehlten aber Daten, um zu sagen, wie sich die Biodiversität im Laufe der Zeit entwickelt hat. «Bei Erhebungen stellen wir fest, dass es in Städten recht viele Arten gibt, ähnlich viele wie beispielsweise in ländlichen Gebieten.»
Das Problem sei jedoch, dass die in Städten lebenden Arten einander sehr ähnlich seien: die meisten Tier- und Pflanzenarten dort seien Generalisten, die sich über weite Strecken ausbreiten könnten und daher gut an die Städte angepasst seien. Spezialisten fänden nicht die Lebensbedingungen vor, die sie brauchten, erklärt Moretti. Das treffe etwa Bienen, die im Boden nisten, oder Schmetterlinge, die spezielle Futterpflanzen oder besondere Umweltbedingungen benötigen. Deshalb gebe es in städtischen Gebieten so wenige Schmetterlinge und Heuschrecken.
Drei Fliegen auf eine Klappe
Um die Biodiversität zu stärken, müssten alle Lebensräume einbezogen werden, sagt Moretti: landwirtschaftliche Flächen und Städte, aber auch Wälder, Industriegebiete und Gewässer. Dafür sei nicht unbedingt mehr Land erforderlich. Wichtig sei die Vernetzung. «Wenn man wertvolle Lebensräume sowohl in den Städten als auch in der Landwirtschaft miteinander verbinden kann, bringt das sehr viel», betont Moretti.
«In Siedlungsgebieten ist es möglich, eine relativ hohe Biodiversität zu haben», sagt auch Florian Altermatt. Dies dank Massnahmen wie beispielsweise naturnahe Bepflanzung am Strassenrand, offenen Gewässern oder begrünten Flachdächern. Im urbanen Raum gehe die Entwicklung in diese Richtung, ist er überzeugt: Denn die gleichen Massnahmen helfen, die Städte gegen den Klimawandel zu rüsten – und erhöhen auch die Lebensqualität.