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Wieso wird die Finanzierung von Gesundheitsleistungen reformiert?

Ganze 14 Jahre arbeitete das Parlament an der Reform zur einheitlichen Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen, kurz Efas. Was bringt die Reform, über die wir am 24. November abstimmen? Und warum wollen die Gewerkschaften diese bodigen?

Um was geht es bei der Reform?

Im Kern geht es darum, ambulante Behandlungen zu fördern und so unnötige Spitalaufenthalte zu vermeiden. Das ist nicht nur besser für den Patienten, sondern auch günstiger für das ganze System.

Wieso geschieht das heute nicht?

Das heutige Finanzierungssystem ist gespickt mit Fehlanreizen: Sowohl für die Spitäler wie auch für die Krankenkassen ist es finanziell interessanter, wenn Patienten stationär behandelt werden, also im Spital übernachten müssen. Eine einheitliche Finanzierung aller Gesundheitsleistungen würde diese Fehlanreize beseitigen.

Was ändert sich konkret?

Alle ambulanten Leistungen – also Arztbesuche oder Behandlungen ohne Übernachtungen im Spital – werden heute von den Krankenkassen, sprich den Prämienzahlenden, bezahlt. Hier sprechen wir von 23 Milliarden Franken – der grösste Teil der Behandlungen findet ambulant statt. Bei stationären Behandlungen mit Übernachtung im Spital übernehmen die Kantone mindestens 55 Prozent der Kosten. Den Rest finanzieren die Krankenkassen. Hierbei geht es um 15 Milliarden Franken. Und bei der Pflegefinanzierung ist es noch etwas komplizierter. Dort übernehmen die Patienten und die Krankenversicherer einen gesetzlich fixierten Anteil – den Rest übernehmen die Kantone (circa 46 Prozent). Hier sprechen wir von 6 Milliarden Franken. Bei Umsetzung der Reform bezahlen die Kantone jeweils 26,9 Prozent und die Krankenversicherer 73,1 Prozent.

Wie wurde dieser Verteilschlüssel festgelegt?

Das Parlament nahm sich vor eine kostenneutrale Reform zu machen, dass also weder die Krankenkassen noch die Kantone als Verlierer dastehen. Für die Referenzjahre 2016–2019 wurden sämtliche Kosten zusammengezählt. Es zeigte sich, dass die Kantone im Durchschnitt 26,9 Prozent der Leistungen bezahlen und die Krankenkassen den Rest. Dieser Verteilschlüssel wird mit der Reform quasi eingefroren.

Wieso ist die Rede davon, dass die Prämienzahlenden profitieren?

Der weitaus grösste Kostenblock ist der ambulante Teil, der heute alleine von den Krankenkassen, sprich über die Prämien, finanziert wird. Ziel der Reform ist es, dass dieser ambulante Teil weiter wächst. Denn ambulante Behandlungen haben handfeste Vorteile: Sie sind günstiger und für die Patienten sinnvoller. In der Regel erholt man sich zu Hause schneller und besser als im Spital. Die Schweiz hinkt bei dieser Ambulantisierung aber hinterher. Ein Grund sind die angesprochenen Fehlanreize: Weil die Krankenkasse bei ambulanten Behandlungen die ganze Rechnung bezahlen müssen, haben sie kein Interesse daran, diese zu fördern. Denn bei Spital- oder Heimaufenthalten zahlen die Kantone mit. Kurzum: Die Reform hat für die Prämienzahler zwei Vorteile: Erstens wird die Ambulantisierung gefördert, was günstiger ist. Zweitens zahlen die Kantone bei den stark wachsenden ambulanten Behandlungen künftig mit.

Gibt es Zahlen, wie stark die Prämienzahler entlastet werden?

Der Verteilschlüssel bezieht sich auf die Jahre 2016–2019. Seither ist der ambulante Bereich weiter gewachsen. Das Bundesamt für Gesundheit hat nun berechnet, in welcher Grössenordnung die Versicherten profitiert hätten, wenn die Reform bereits 2023 eingeführt worden wäre: Die Versicherten hätten auf einen Schlag 800 Millionen Franken weniger Prämiengelder bezahlt. Das ist Geld, das neu die Kantone einschiessen müssten. Weil die Ambulantisierung immer weiter fortschreitet, entsteht ein massiver Aufholeffekt: Die Kantone müssten ab Einführung der einheitlichen Finanzierung 2028 auf einen Schlag 1,5 bis 2,5 Milliarden Franken mehr an Leistungen finanzieren. Das ist der Betrag, den die Prämienzahlenden dannzumal einsparen könnten.

Weshalb zweifeln die Gegner daran, dass Reform für die Prämienzahler gut ist?

In einem ersten Schritt wird die Finanzierung für die ambulanten und stationären Leistungen vereinheitlicht. Erst ab 2032 gilt sie auch für die Pflege (Heime und Spitex). Weil die Bevölkerung älter wird, werden die Pflegekosten zunehmen. Die Gegner der Vorlage argumentieren, dass die positiven Effekte der Reform für die Prämienzahlenden durch die demografische Entwicklung gleich wieder zunichtegemacht werden. Den Prämienzahlern würde die «grösste tickende Zeitbombe in unserem Gesundheitssystem aufgebürdet», schreibt die Unia. Die Befürworter der Vorlage bestreiten nicht, dass die Kosten für die Pflege ansteigen werden. Aber sie betonen, dass das Volumen der stark wachsenden ambulanten Leistungen um ein Vierfaches grösser ist – und darum auch in Zukunft die Prämienzahler profitieren.

Die Gewerkschaften ergriffen das Referendum, weil sie Druck vom Gesundheitspersonal abwenden wollen, Was ändert sich für sie?

Die Gewerkschaften befürchten, dass sich durch die neue Finanzierung die Kantone aus der Verantwortung ziehen, Pflegeleistungen zu finanzieren und diese durch die Krankenkassen unter Spardruck kommen. Allerdings teilen die Verbände diese Befürchtung nur bedingt: Die Spitex unterstützt die Reform, der Verband der Pflegefachleute hat Sympathien, aber Stimmfreigabe entschieden. Denn sie sehen auch Vorteile in der Versorgung der Patienten.

Was sind die Vorteile?

Die Versorgung kann besser an den Bedürfnissen der Patienten ausgerichtet werden und muss nicht mehr auf die Finanzierung Rücksicht nehmen. Das ermöglicht auch eine bessere fachübergreifende, koordinierte Versorgung.

Wer befürwortet die Reform und wer lehnt sie ab?

Bundesrat, Parlament und Kantone befürworten die Vorlage. Und für einmal steht auch die Gesundheitsbranche geeint hinter der Vorlage. SVP, FDP, Mitte und GLP sagen ebenfalls Ja, die Grünen haben Stimmfreigabe beschlossen und nur die SP lehnt die Vorlage ab. Allerdings gibt es auch in der SP bekannte Befürworter. Co-Präsidentin Mattea Meyer etwa stimmte der Reform im Parlament zu.