Als ich Tina Turner beschützte
Es ist Frühling 1987. Ich bin noch jung, voll im «Saft» und jobbe an verschiedenen Orten. So unter anderem auch im Sicherheitsteam eines grossen Konzertveranstalters. Anfang April klingelt das Telefon zu Hause – Handys gibt es für Normalsterblich damals noch nicht. Der Sicherheitsverantwortliche beruft mich ins persönliche Bodyguard-Team von Tina Turner, die im selben Monat fünfmal im ausverkauften Hallenstadion auftritt.
Ich bin total begeistert, denn – wie viele zu dieser Zeit – bin ich ein grosser Fan von Tina. Es gibt aber noch eine andere Verbindung, von der sie mit grösster Sicherheit nichts weiss. Wir haben am selben Tag Geburtstag, dem 26. November.
Zwei Tagen lang werden wir vor Ort auf diese Konzerte vorbereitet. Die Vorgaben sind happig, die Richtlinien streng. «100 Prozent Schutz! Kein Kontakt mit dem Star!», lauteten die obersten Devisen. Konventionalstrafen in sechsstelliger Höhe drohen.
Trotzdem gehörte ich zu den Glückspilzen im Team. Mein Arbeitsplatz während der Konzertwoche: Direkt vor ihrer Garderobentür. Ich bekomme gleich wieder Hühnerhaut, während ich diese Zeilen schreibe.
Fünf Stunde vor Konzertbeginn sind wir bereits auf unseren Plätzen. Suchen jeden Raum und jeden Gang im Hallenstadion nach verdächtigen Gegenständen ab, kontrollieren die Garderoben von Tina Turner unter Aufsicht einer ihrer persönlichen Bodyguards und scannen jede Person in den Gängen.
Plötzlich wird es hektisch. Alle Türen werden verschlossen. Die Menschen in den Gängen weggeschickt. Der Star – Tina himeself – kommt. Gekleidet in einen weissen Bademantel, die Kapuze hochgeklappt, am Arm je ein persönlicher Bodyguard. Wortlos verschwindet Tina in der Garderobe.
Jetzt sind alle auf 150. Der Funkverkehr im Ohr nimmt rapide zu. Die Vorgruppe beendet ihren Auftritt. Tinas Musiker spielen den ersten Song an. Die Menge im Hallenstadion tobt. Plötzlich geht die Garderobentür auf und Tina Turner schreitet sich Richtung Bühne. Das Konzert beginnt. Nach rund 75 Minuten ist der Auftritt vorbei. Zugaben inklusive. Tina kommt zurück in die Garderobe, düst wenig später direkt weiter ins Hotel. Die Stimmung in den Gängen ist gelöst. Das erste Konzert verläuft ruhig. Drei weitere sollen reibungslos vonstattengehen.
Am letzten Abend, das fünfte Konzert ist schon vorbei, plötzlich Aufregung am Funk. In den Gängen macht ein Mann Stunk. Er will zu Tina. Wird laut. Gestikuliert. Er hat aber nicht alle nötigen Ausweise. Trotzdem kommt er weit. Zu weit aus meiner Sicht. «Zupacken» heissts aus dem Funk. Ich werfe mich auf ihn. Niemand weiss, was er im Schilde führt. Ich drücke ihn zu Boden, mach ihn dingfest. Meine Kampfsporterfahrung hilft in diesem Augenblick. Es wird geflucht, geschrieen. Auch die persönlichen Bodyguards greifen ein. Plötzlich wird klar, es ist kein «Gestörter», der dem Star etwas antun will. Es ist der neue Manager von Tina Turner. Die Fluchwörter, die er uns an den Kopf wirft, vergesse ich schnell. Das «Danke für deinen Einsatz», von Tina Turner hingegen nicht.
Am 24. Mai ist Tina Turners Stimme, nach 83 Jahren und schwerer Krankheit, für immer verstummt. Ihre Musik und weitere persönliche Erinnerungen an ihre Konzerte im Hallenstadion bleiben mir aber ewig.
*Raphael Nadler (58) arbeitete während 18 Jahren beim Zofinger Tagblatt. Heute ist er Chefredaktor beim «Landanzeiger», einer Wochenzeitung, die zur ZT Medien AG gehört.