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Rezession oder nicht? Spekulationen über den Zustand der US-Volkswirtschaft nach zwei negativen Quartalen in Folge

Die US-amerikanische Konjunktur ist auch im zweiten Quartal 2022 geschrumpft. Damit befindet sich die grösste Volkswirtschaft der Welt in einer Rezession – obwohl viele Kennzahlen das Gegenteil sagen.

Als Jerome Powell diese Woche gefragt wurde, ob sich die USA in einer Rezession befänden, da zögerte der höchste Notenbanker des Landes nicht lange. Nein, antwortete Powell, auch mit Verweis auf den boomenden Arbeitsmarkt: «Es gibt schlicht zu viele Bereiche der Wirtschaft, die gut abschneiden.»

Die Statistiker der Regierung von Joe Biden sind da aber anderer Meinung. Am Donnerstag publizierte das Handelsministerium eine erste Schätzung für das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal 2022. Demnach schrumpfte die grösste Volkswirtschaft von Anfang April bis Ende Juni um 0,2 Prozent – auch weil viele Unternehmen im Frühling auf ihren Vorräten sitzen blieben.

Da die Statistiker bereits für das erste Quartal ein Konjunktur-Minus von 0,4 Prozent (im Vergleich zum Vorquartal) berechnet hatten, befindet sich die US-Volkswirtschaft aktuell wohl in einer Rezession. Denn eine alte Volkswirtschaftsregel besagt: Schrumpft eine Volkswirtschaft zwei Quartale in Folge, dann kann man von einer Rezession sprechen.

Keine Ausverkaufsstimmung an der Börse

An der US-Börse machte sich am Donnerstag trotzdem keine Ausverkaufsstimmung breit: Bei Handelsbeginn tendierten die Leit-Indizes allesamt nur leicht im roten Bereich. Später kehrte der Wind und die Aktien legten im Vergleich zum Vortag zu.

Eine Erklärung dafür: Bei den Zahlen des 2. Quartals, die am Donnerstag publiziert wurden, handelt es sich um eine Wasserstandsmeldung. Die Erfahrung zeigt, dass die erste publizierte BIP-Zahl in den darauffolgenden Wochen einer Korrektur unterzogen werden muss.

Wichtiger aber vielleicht ist, dass in den USA die unabhängige Organisation National Bureau of Economic Research (NBER) damit beauftragt ist, den Beginn und das Ende einer Rezession zu deklarieren. Die acht zuständigen NBER-Ökonomen lassen sich dabei nicht nur von den Konjunkturzahlen leiten; sie berücksichtigen auch die Arbeitsmarktzahlen, die Konsumentenstimmung und Kennzahlen wie die Sparquote.

Auch an der New Yorker Börse fürchtet man die Inflation. 
Keystone

Weil das NBER dabei äusserst langsam vorgeht – so deklarierte der zuständige Ausschuss das Ende der Finanzkrise erst im September 2010, mit mehr als einem Jahr Verspätung – wird die Arbeit der Ökonomen von den meisten Amerikanerinnen und Amerikanern ignoriert.

Biden will nicht von einer Rezession sprechen

Eine wichtige Ausnahme stellt dabei das Weisse Haus dar. Weil Präsident Joe Biden wirtschaftspolitisch bereits im Gegenwind steht – Stichwort: hohe Benzinpreise und eine Inflationsrate von 9,1 Prozent im Juni –, will er unbedingt verhindern, dass die USA auch noch in eine Rezession taumeln. Der Demokrat sprach deshalb am Donnerstag lieber über einen neuen Gesetzesvorstoss im Senat, der die Teuerung reduzieren und eine Mindeststeuer für Unternehmen einführen soll.

«Es ist keine Überraschung, dass die Wirtschaft sich abkühlt», nachdem im vorigen Jahr ein Rekordwachstum verzeichnet worden sei, sagte Biden. Und sein Wirtschaftsberater Brian Deese verkündete: «Technisch gesehen handelt es sich nicht um eine Rezession.»

Kurzfristig mag diese Strategie funktionieren. Längerfristig aber, wenn die Arbeitslosenrate stark ansteigt und die Konsumentenstimmung weiter in den Keller rutscht, dann wird auch Biden das «R-Wort» in den Mund nehmen müssen.