
Missstände im Rudersport: Menschlicher zu sein, heisst, besser zu werden
Rudern ist ein faszinierender Sport. Technik, Kraft, Ausdauer, Timing, Souplesse und Teamwork – allesamt Faktoren für den Erfolg. Und die Rudernation Schweiz feiert seit vielen Jahren regelmässig Erfolge auf allerhöchstem Niveau. Dies mit bescheidenen finanziellen Mitteln.
Trotzdem schöpft der Schweizer Rudersport sein Potenzial nicht aus. Weil es ihm in seinem – richtigen – Konzept der Zentralisierung zu wenig gelingt, über den Tellerrand des Systems hinauszublicken und die Bedürfnisse der Athletinnen und Athleten in den Mittelpunkt zu stellen. Die Ruderer müssen sich dem System anpassen und nicht umgekehrt. Dieser Ansatz bedarf einer Korrektur, denn er produziert zu viele Verlierer.
Nach den Olympischen Spielen in Paris erklärte Delegationsleiter Ralph Stöckli, wie der Schweizer Sport in Zukunft noch erfolgreicher sein kann. Durch individuellere Förderung der Sportlerinnen und Sportler. Sie müssen im Zentrum stehen und das Umfeld sich als Dienstleister verstehen. Doch im Leistungszentrum Rudern verstehen sich Trainer und Direktor nicht als Zulieferer, sondern als klare Chefs.
Chefcoach Ian Wright erinnerte gar an einen aus der Zeit gefallenen Herrscher. Die alleinige Wahrheit gepachtet, das menschliche Mitgefühl vergessen. Nach der knappstmöglich verpassten Medaille des Frauen-Vierers in Paris gab es von ihm keine Gesten des Trostes, sondern pure Ignoranz. Er sprach kein Wort mehr mit den in seinen Augen gescheiterten Sportlerinnen. Dass sein jenseits moderner Wissenschaft abgespultes Trainingsprogramm bedenkenlos auch von anderen Trainerinnen und Trainern – gerade im Nachwuchsbereich – angewandt wurde, war vielleicht die grösste Sünde.
Direktor Christian Stofer realisierte nicht, dass sich sein «Kind», das nationale Leistungszentrum in Sarnen, mit der Zeit zum Teenager und jungen Erwachsenen entwickelte. Und man die Entwicklung fördern und nicht das Kind verteidigen muss. Er sei beratungsresistent, sagen Kritiker unisono. Kann er das Gegenteil beweisen?
Wertschätzung zeigen, Bedürfnisse abholen, Mitgestaltung ermöglichen, Hilfe anbieten gehören zur modernen Menschenführung. Im Sport sind sie ein Erfolgsrezept. Man hört von den Verantwortlichen im Ruderverband immer wieder das Argument, Rudern habe halt seine eigenen Regeln. Das stimmt punkto spezifischer Trainingsanforderungen. Wer es an die internationale Spitze schaffen will, muss in jeder Sportart an seine Grenzen gehen. Das unterscheidet Rudern nicht von der Leichtathletik oder dem Schwimmen.
Doch grosse Champions vereint noch eine andere Qualität: Sie sind Charakterköpfe. Ein bestmögliches Verbandsumfeld bringt diese zum Blühen, anstatt sie zu unterdrücken. Es ist zuallererst einmal ein gutes Zeichen, dass Swiss Rowing grosses Potenzial brachliegen hat. Aber dafür müssen die Verantwortlichen im Verband den dringend notwendigen Mentalitätswechsel aus innerer Überzeugung angehen und nicht, weil er ihnen von aussen diktiert wird. Denn sie sollten nicht vergessen: Sie verantworten und repräsentieren eine wirklich wunderbare Sportart. Das verpflichtet. Allen Sportlerinnen und Sportlern gegenüber. Auch jenen, die keine Medaillen gewinnen. Gerade ihnen.