Wahlen in den USA – einfach grossartig! Fünf Argumente gegen den Pessimismus
In der Schweiz verfolgen viele Menschen den amerikanischen Wahlkampf mit Befremden, ja mit Abscheu. Es erscheint als völlig überzogen, wie sich Donald Trump und Kamala Harris gegenseitig runtermachen, bei einem Sieg des jeweils anderen das Ende Amerikas heraufbeschwören (darunter geht es nicht). Von jetzt an lächeln wir nur noch müde, wenn ein Politologe mit hochgezogener Braue sagt, die Schweizer Politik sei immer polarisierter.
Bei keiner Präsidentschaftswahl davor waren die Umfragen in den Swing States so eng wie diesmal. Das passt zu einem Wahlkampf, der in jeder Hinsicht aussergewöhnlich war: Das erste TV-Duell beendete die Kandidatur von Amtsinhaber Joe Biden; es gab ein Attentat; die seit Jahren unbeliebte Vizepräsidentin Kamala Harris entfachte eine Euphorie, die in den letzten drei Wochen aber wieder verebbte; Donald Trumps Rhetorik und politische Forderungen sind radikaler denn je.
Es wäre einfach, die verbleibenden Zeilen dieses Artikels zu füllen mit den Widerwärtigkeiten und den Gefahren, die diese Wahl mit sich bringt. Man liest täglich davon. Doch alles hat zwei Seiten. Darum fünf gegenläufige Beobachtungen:
Die US-Demokratie lebt.Putin muss sich in Russland keinem Fernsehduell stellen, und Xi Jinping zieht nicht für Rallys durch China. Die USA sind die einzige Grossmacht mit einer Demokratie. Und sie funktioniert, erweist sich als äusserst kompetitiv. Harris und Trump machen zwei sehr unterschiedliche Angebote, sie offerieren eine echte Auswahl.
Die Wahl ist beste Unterhaltung.«Niemand braucht sich dafür zu entschuldigen, dass er unterhält.» (Bertolt Brecht) Das gilt nicht nur fürs Theater, sondern auch für die Politik. Die Parteitage beider Parteien sind ebenso wie die Rallys in Stadien über weite Strecken farbige, lustvolle Shows. Natürlich gehen dann die extremsten Aussagen viral. Aber insgesamt sind es Feste der Demokratie, es wird viel gelacht, und man lässt es menscheln, etwa wenn Harris’ Ehemann erzählt, wie er sich in Kamala verliebte, oder wenn Trumps Enkeltochter Anekdoten preisgibt.
Das Politspektakel mobilisiert.2024 wird eine enorme Stimmbeteiligung erwartet, die möglicherweise den historisch hohen Wert von 2020 erreicht oder nochmals übertrifft. Bereits während der vorzeitigen Stimmabgabe in einzelnen Gliedstaaten wurden Rekordzahlen verzeichnet. Eine hohe Wahlbeteiligung legitimiert die Ergebnisse – und stärkt die Demokratie. Man kann über Auftritte Trumps im McDonald’s oder als Müllmann spotten, ebenso wenn sich Harris beim Biertrinken ablichten lässt, aber im Social-Media-Zeitalter helfen diese Inszenierungen, um Leute zur Urne zu bewegen.
Die Probleme werden benannt.Ausweichende, floskelhafte Reden und Interviews – das ist weder Harris’ noch Trumps Art, aufzutreten. Sie benennen Probleme schonungslos und nehmen die Bürgerinnen und Bürger ernst. Harris erklärt klipp und klar, welche gesundheitlichen Risiken Trumps Abtreibungspolitik für Frauen hätte. Trump legt dar, in welchen Punkten er die Migrationspolitik komplett ändern würde. Natürlich gibt es Übertreibungen. Doch die sind der Beweis dafür, dass die Rede- und Meinungsfreiheit in den USA gewährleistet ist.
Die Jugend wird politisiert. Die Polarisierung und die tiktok-kompatiblen Wahlkampfinszenierungen haben ihr Gutes. Sie holen junge Menschen ab und motivieren sie, sich auf der einen oder anderen Seite zu engagieren. Dazu tragen auch Aktionen von Prominenten wie Taylor Swift bei, die junge Menschen zur Wählerregistrierung aufgerufen haben – mit statistisch erkennbarer Wirkung. So werden engagierte Staatsbürger herangebildet, während in Europa die junge Generation bei Wahlen oft gelangweilt zu Hause bleibt.
All das stimmt zuversichtlich. Der grösste Feind der Demokratie sind Gleichgültigkeit und Teilnahmslosigkeit. Der beste Garant der Demokratie sind starke Institutionen und aktive Bürgerinnen und Bürger. Dass die Institutionen gefestigt sind, hat der Stresstest der vierjährigen Trump-Präsidentschaft gezeigt. Dass die Menschen alles andere als gleichgültig sind, zeigt die hohe Wahlbeteiligung.
Das ist wichtiger als die Frage, wer die nächsten vier Jahre im Weissen Haus regieren wird.