Sie sind hier: Home > Analyse > Warum Kamala Harris es nicht schaffen wird

Warum Kamala Harris es nicht schaffen wird

Die Demokraten streben eine offene Wahl an – alles ist möglich.

Joe Biden tritt ab, Kamala Harris tritt in seine Fussstapfen. Logisch, oder nicht? Nicht ganz. Sicher spricht vieles für die Vize-Präsidentin. Sie ist 59 Jahre alt, oder in der Fussballersprache ausgedrückt: im besten Politikeralter. Als Vize konnte sie wichtige Regierungserfahrung sammeln, als farbige Frau deckt sie gleich mehrere für die Demokraten zentrale Wähler-Segmente ab. Ihre Umfragewerte sind besser, als bisher angenommen. Sie konnte sich in der so wichtigen Abtreibungsfrage profilieren, und schliesslich wäre sie die einfachste Lösung für das Spende-Gelder-Problem.

Das alles trifft zu, und auch Donald Trump geht offenbar davon aus, dass Harris seine Gegnerin sein wird. In gewohnt rüpelhafter Manier attackierte er deshalb bei seinem jüngsten Rally-Auftritt vor allem die Vize-Präsidentin. Doch vielleicht bellt der Ex-Präsident auch den falschen Baum hoch, denn dass Harris das Rennen machen wird, ist höchst ungewiss.

Hat grossen Einfluss: Nancy Pelosi.
Bild: Susan Walsh / AP

Wichtige Stimmen in der Rennleitung der Demokraten fordern eine offene Wahl am Parteitag. Sie gehören den unterschiedlichsten Lagern an. Nancy Pelosi, die Grand Old Lady der Demokraten ist dabei, genauso wie Joe Manchin, der eher konservative und störrische Senator aus West Virginia. Das kann man als Zeichen deuten, dass die Demokraten «all in» gehen werden. Will heissen: Sie kommen mit einem völlig neuen «ticket» – einer Zweier-Nomination für Präsident und Vize –, einem Ticket, das völlig neue Perspektiven eröffnet.

Wie könnte ein solches Ticket aussehen? Wie wäre es mit dem Duo der beiden Gouverneuren, Gretchen Withmer aus dem Bundesstaat Michigan und Wes Moore aus dem Bundesstaat Maryland? Beide sind extrem kompetent, beide sehr gute Kommunikatoren, beide jung, aber nicht zu jung. Eine Frau und ein Schwarzer, damit sprechen sie Frauen, Schwarze, Hispanics und Junge an, und beide haben das Potenzial, Euphorie zu entfachen.

Wer dabei Präsident und wer Vize werden soll, ist vielleicht gar nicht so entscheidend. Möglich wäre ja auch eine Aufwertung des Amts des Vize-Präsidenten, wie dies ja auch bei George W. Bush und Dick Cheney der Fall war.

Mag ja sein, kann man einwenden, aber beide sind doch national viel zu wenig bekannt. Ein schwaches Gegenargument. Der Wahlkampf hat mit dem Biden-Rücktritts-Theater und dem Attentat auf Donald Trump den Grad der Aufmerksamkeit bereits derart in die Höhe geschraubt, dass die Demokraten einen Schimpansen nominieren könnte, er würde innert Stunden zum nationalen Begriff werden. Wichtig ist einzig, dass die mehrheitlich frustrierten Amerikanerinnen und Amerikaner nicht mehr die Wahl haben zwischen einem pathologischen Narzissten und einem Greis.

Ein politisches Ausnahme-Talent: Wes Moore.
Jacquelyn Martin / AP

Die Paarung Withmer/Moore ist rein spekulativ. Auch andere Namen bieten sich an, Gavin Newsom, beispielsweise. Doch er kommt aus Kalifornien und die Kalifornier sind in den USA etwa so populär wie die Zürcher im Thurgau. Die Entscheidung der US-Wahlen wird zwar nicht in der Ostschweiz, aber im Mittleren Westen gefällt, in Staaten wie Michigan, Wisconsin und Pennsylvania. Dort hat Newsom eher schlechte Karten.

Grundsätzlich ist den Demokraten mit dem Rücktritt Bidens ein Befreiungsschlag geglückt. Sie mögen sehr spät gehandelt haben, aber in den letzten Wochen haben sie ihr schlechtes Blatt optimal gespielt. So haben sich etwa Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez demonstrativ hinter den Präsidenten gestellt – und damit verhindert, dass die Republikaner jetzt den Rücktritt Bidens als Meuchelmord der Progressiven darstellen können.

Ist jetzt der alte Mann: Donald Trump.
Evan Vucci / AP

Ganz anders die Republikaner. Sie leiden unter dem Syndrom, vor dem die Partnerin des Drogenbosses im legendären Thriller «Scarface» warnt: «Don’t geht high on your own supply.» (Last die Finger von euren eigenen Drogen.) Der Parteitag in Milwaukee war ein einziges «Wir-sind-die Grössten-Festival». Die euphorischen Delegierten diskutieren einzig noch darüber, wie hoch der Wahlsieg ausfallen werde.

Das könnte übel in die Hosen gehen. Ein völlig neues Spiel hat begonnen, Jetzt haben die Demokraten bewiesen, dass sie handlungsfähig geblieben sind. Die Republikaner hingegen klammern sich an ihren 79-jährigen Máximo Lider, der seinen Zenit offensichtlich überschritten hat, der ein verurteilter Verbrecher ist, der eine geradezu katastrophal schlechte Rede am Parteitag gehalten und der einen unerprobten Wendehals zu seinem Vize erkoren hat.

Ein neues Spiel hat begonnen. Ob Kamala Harris darin die Hauptrolle spielen wird, ist derzeit noch völlig ungewiss.