Cooles Abenteuer: Was ist faszinierend daran, bei minus 15 Grad Celsius zu fischen?
Wenn wir jammern, wie kalt es beim Eisfischen war, soll niemand mit dem dummen Spruch «Es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung» kommen. Welche Kleidung ist denn, Besserwisser!, geeignet, wenn es gilt, eine Forelle mit Kiemengriff aus einem eiswasserumspülten Eisloch zu holen?
Ich habe vorgegriffen, aber nicht den Höhepunkt verraten. Zuerst muss sowieso die gefangene Bachforelle mit einem Nackenschlag betäubt, dann durch einen Kiemenschnitt klinisch tot gemacht werden. Schön sieht das frisch gefangene Tier auf dem Schnee aus, wenn auch sein Leben mit dem gierigen Biss in den Köderfisch zu Ende ging. Dafür wurde es gezüchtet und ausgesetzt.
Wenn der Wind die Wangen zu schälen scheint
Da ich selbst im Mai mit Wollsocken ans Wasser gehe, habe ich sehr viel Respekt vor dem Tag auf dem gefrorenen See. Doch alle Thermowäsche, Wollsocken, Nierenband nützen nichts mehr, wenn man um 9.10 Uhr bei minus 15 Grad Celsius auf dem Schlitten von Gusti Berchtold durch die Schneelandschaft saust.
Der Wind scheint meine Wangen aufzufressen. Am Tannensee angekommen, bereue ich, nicht verschlafen zu haben. Gusti Berchtold, der 56-jährige Leiter der Fischerei auf der Melchsee-Frutt, packt derweil munter unsere Siebensachen vom Schlitten und meint: «Bitte früh genug sagen, wenn es wegen der Kälte nicht mehr geht. Ich hatte schon Gäste, denen musste man am Ende alles einpacken.»
«Schon am Anfang», fluche ich leise, einem Zitteraal gleichend. Und als hätte Berchtold meine Gedanken gelesen, spannt er mir die Schneeschuhe zu, dem Warmduscher aus Zürich.
Vor 20 Jahren startete Berchtold mit dem Angebot auf der Melchsee-Frutt, meinte, was die Berner können, schaffe er als Obwaldner auch. Mittlerweile ist das Eisfischen in zwei Seen auf dieser zauberhaften, 1920 m ü. M. gelegenen Hochalp unglaublich beliebt, die Angeltage sind rasch ausgebucht. Mittwoch, Freitag, Samstag und Sonntag sind im Angebot – jeweils 25 Fischer zugelassen. Auch ein Kurs für Anfänger ist dabei, zu dem man ausser warmer Kleidung nichts mitnehmen muss.
Berchtolds Reich ist die Alte Bergstation Melchsee-Frutt. Hier hat er eine Auswahl an Ruten, Schneeschuhen, allerlei Fischereimaterial und eine Ecke, wo man die gefangenen Fische ausnehmen, filetieren und vakuumieren kann. Wer etwas vergessen hat, dem wird hier im Notfall ausgeholfen.
«Eisfischen ist keine Hexerei» scheint die Botschaft Berchtolds zu sein. Theorie bringt wenig, Erfahrung ist alles. Und die kann der Instruktor auch nicht in einem 180 Minuten langen Vortrag lehren: Also besser gleich die Uferböschung runter aufs Eis. Bloss nicht in den Schnee fallen, denke ich, atme unten angekommen auf, der Hintermann hingegen spuckt Schnee aus.
Hinaus wollen wir zur Insel mit der kleinen Tanne. Dort angekommen, bleibt keine Zeit zum Ausruhen, bereits will gelernt sein, wie mit einem zwei Meter grossen Handbohrer ein Loch in das 40 Zentimeter dicke Eis zu graben ist. Es ist überraschenderweise viel leichter, als mit gefrorenen Fingern Schneeschuhe anzuziehen. Vorsicht ist bei der Vorbereitung geboten: Erst gilt es, mit der Schaufel ein Loch so lang wie die Schaufel breit vorzubereiten. «Keine Badewanne!», ermahnt Berchtold. «Keiner will da später reintrampen.»
Dank Schneeschuhen sollte zumindest die Gefahr von einem Eisloch-Unfall gebannt sein. Das Loch gelingt, mit einem Sieb schöpfen wir das Crash-Eis, die kleinen Eisstücke, heraus. Spätestens wenn ein Fisch bis zum Loch hochgedrillt ist, bereut man die vernachlässigte Putzarbeit.
Sonst bereut der Gast in dieser Berg- und Seeneinsamkeit nichts – höchstens, zu wenig Sonnencreme mitgenommen zu haben. Der Blick aufs Balmeregghorn und all die umliegenden Bergriesen bringt einen ins Träumen. Doch stopp!, etwas hat geläutet!
Es ist das kleine Glöcklein an der Rute von Matthias und zeigt an, dass weit unten ein Fisch nach den zwei Bienenmaden geschnappt hat. So gut es geht, tappt oder rappt er von einem zum zehn Meter entfernten Loch. Ist er dort angekommen, regt sich nichts. Der Fisch ist längst weiter, vielleicht schon beim anderen Loch angekommen.
Die einen fischen aktiv, die anderen passiv. Aktiv heisst, dass man die Rute in der Hand hält, einen Köder – etwa ein totes Fischchen, einen Gummifisch – dauernd in Bewegung hält. Passiv spiesst man eine Bienenmade auf den Haken, setzt sie knapp über den Grund, steckt die Rute in den Schnee und wartet.
Der edle Fisch, der die Fischer verarscht
Aktiv sollten die grösseren Exemplare beissen – unter anderem auch der Saibling, der leckere Snob unter den Fischen: «Der verarscht dich gerne», sagt Berchtold, als würde er von einem alten Freund sprechen: «Er beisst mal rein, lässt den Köder wieder los und versucht es wieder. Du musst auf der Hut sein.» Bin ich, nützt aber doch lange nichts – Biss folgt auf Fehlbiss: Zwei Meter ziehe ich den Fisch hoch … und weg ist er. Im Kopf aber ist jenes Bild vom Riesen, gefangen am 1. Juli 2017: Ein 94 Zentimeter langer kanadischer Saibling. Eisfischen heisst träumen, ist dem Fliegen ähnlich.
Am Morgen noch nickten beim Vorschlag, gegen Mittag mit dem Schlitten ins nahe gelegene Restaurant zu fahren, alle heftig. Jetzt will keiner hin: Die Sonne wärmt, der Fisch lauert. Nur schade, hat man keinen Stuhl mitgebracht, man könnte glatt auf die Idee kommen, ein kühles Bier zu geniessen. Doch aufgepasst: War das nicht schon wieder ein Zupfer? Der Anschlag sitzt.
Info: www.melchsee-frutt.ch/fischerei