Paris in Sorge wegen Gaza-Protesten: Was droht, wenn die Banlieues aufwachen?
Spannungen um den Gaza-Konflikt gibt es nicht nur in New York an der Columbia-Universität, sondern auch in ganz Europa. In Rom und Stockholm forderten Demonstranten einen Waffenstillstand und einen Boykott Israels, um eine politische Lösung zu erzwingen. In Berlin löste die Polizei ein Studentencamp vor dem Bundestag sehr schnell auf; einen «Palästina-Kongress» untersagte sie aus Sicherheitsgründen.
Am weitesten gediehen sind die Proteste in Frankreich. An der renommierten Pariser Polituniversität Sciences Po blockierten linksradikale Studenten den Zugang unter anderem mit einer Palästina-Flagge, flankiert von einer Inschrift, die Israel einen «Genozid» in Gaza unterstellt. Mit Zelten richteten sie sich im Pariser Campus ein. Die Polizei räumte das Lager kurz darauf mit einer nächtlichen Operation.
Anfang Woche kam es vor dem Pariser Gebäude von Sciences Po im Literatenviertel Saint-Germain-des-Prés zu einem Handgemenge mit proisraelischen Studenten. Die Bereitschaftspolizei trennte die beiden Lager. Der Interimsleiter von Sciences Po, Jean Bassères, erreichte in Verhandlungen, dass die Palästina-Fraktion auf weitere Blockaden verzichtet; zugleich erhielt diese eine Amnestie und eine «Townhall»-Diskussion im Plenum zugestanden; Sciences Po überprüft zudem ihre Partnerprojekte mit Israel.
Für diese Konzessionen erntete Bassères viel Kritik. Die konservative Vorsteherin des Pariser Regionalrates, Valérie Pécresse, strich sämtliche Subventionen für die französische Uni der politischen Wissenschaften und ihre 15’000 Studenten, zu denen früher auch Präsident Emmanuel Macron und Premier Gabriel Attal gezählt hatten.
In den letzten Tagen haben neben dem Pariser Hauptsitz von Sciences Po auch Zweigschulen in Lyon, Menton, Rennes oder Toulouse Protestaktionen durchgeführt. Diese greifen zudem auf andere Universitäten wie etwa die Sorbonne in Paris über. Die traditionell stark politisierte Fakultät Tolbiac wurde sicherheitshalber geschlossen. In Grenoble trugen Studenten den Protest aus der Universität und blockierten mit Sit-ins die Tramlinien der Alpenmetropole.
Bereits 2023 gab es Krawalle
Die französische Hochschulministerin Sylvie Retailleau hat die Unirektoren für Donnerstag nach Paris berufen, um über die Lage zu beraten. Im Vorfeld kündigte sie einen Kurs der «Nulltoleranz» gegenüber antisemitischen oder anderen Gesetzesverstössen an.
Ungesagtes Hauptziel der Staatsführung ist es, ein Übergreifen der Proteste auf die propalästinensischen Einwanderervorstädte zu verhindern. Seit der zweiten Intifada im Jahr 2000 ist bekannt, wie schnell der Funken zünden kann. Die Pariser Elite-Unis trennen zwar Welten von den «heissesten» Banlieue-Zonen, von wo Mitte 2023 auch Krawalle nach dem Tod eines Jugendlichen durch eine Polizeiwaffe ausgegangen waren. Die Studentenproteste werden in den Immigranten-Wohnsiedlungen der Cités aber genau verfolgt.
Die Linken-Partei «Unbeugsames Frankreich» (LFI) bläst seit Wochen in die Glut, um die propalästinensischen Blockaden von Paris in die «Bannmeilen» (dem deutschen Wort für Banlieue) an den Stadträndern zu tragen. Das nicht zuletzt aus Wahlgründen: In der Kampagne für die kommenden Europawahlen zeigt sich LFI-Chef Jean-Luc Mélenchon mit Vorliebe neben der in Frankreich eingebürgerten Palästinenserin Rima Hassan, die einen vorderen Platz der LFI-Liste einnimmt.
Ein geplanter Auftritt der beiden wurde in Lille vom dortigen Uni-Rektor verhindert. Mélenchon verglich ihn darauf mit dem Nazischergen Adolf Eichmann. Hassan und LFI-Fraktionschefin Mathilde Panot haben von der französischen Justiz eine Vorladung wegen «Terrorverherrlichung» erhalten. Die beiden Frauen hatten die Hamas-Attacke vom 7. Oktober auf Israel weniger oder weniger explizit gerechtfertigt.