Palästinenser fährt in Menge in Tel Aviv – «Reaktion auf Dschenin»
Ein palästinensischer Angreifer ist am Dienstag mit seinem Auto in eine Menschenmenge in Tel Aviv gefahren und hat mindestens sieben Menschen teils lebensgefährlich verletzt. Mehrere militante Palästinensergruppen bezeichneten den Anschlag als Reaktion auf einen am Tag zuvor gestarteten Militäreinsatz im nördlichen Westjordanland. Dieser dauerte am Dienstag weiter an.
Der Angreifer in Tel Aviv wurde nach Angaben der Polizei vor Ort von einem Zivilisten erschossen. Er war demnach zunächst an einer Bushaltestelle in eine Gruppe von Fussgängern gerast und hatte anschliessend mit einem spitzen Gegenstand auf sie eingestochen. Fünf Menschen wurden laut israelischem Rettungsdienst nach dem Angriff in umliegende Krankenhäuser gebracht. Eine 46-Jährige schwebte demnach am Nachmittag weiter in Lebensgefahr.
Hamas: Reaktion auf Militäreinsatz in Dschenin
Aus israelischen Sicherheitskreisen hiess es, der 20-Jährige aus einem Dorf nahe Hebron sei ohne Genehmigung nach Israel eingereist. Nach Angaben der im Gazastreifen herrschenden Hamas handelte es sich um ein Mitglied der Palästinenserorganisation. Der Angriff sei eine «erste Reaktion» auf einen gross angelegten Militäreinsatz Israels im Westjordanland, teilte ein Hamas-Sprecher mit. Er sei ein Zeichen dafür, dass die «Besatzung den Preis für die Verbrechen in Dschenin zahlen wird». Auch weitere militante palästinensische Gruppierungen sprachen von einem Zusammenhang mit den Geschehnissen in Dschenin.
Israels Armee hatte in der Nacht zum Montag eine der grössten Militäroperationen im Westjordanland seit Jahrzehnten begonnen. Die Armee rückte nach mehreren Luftschlägen mit rund Tausend Soldaten in die palästinensische Stadt Dschenin ein. Dort lieferten sie sich seither mehrere Feuergefechte mit bewaffneten Anwohnern. Mindestens zehn Menschen wurden getötet, 100 weitere verletzt.
Israel will dort laut Armeeangaben «terroristische Infrastruktur» zerschlagen. Ein Ende des Einsatzes war am Dienstagnachmittag nicht absehbar. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte an, sie werde «so lange dauern wie nötig». Dschenin dürfe nicht weiter ein Rückzugsort für Terroristen sein. In den vergangenen Jahren hatten Bewohner der Stadt mehrere Anschläge auf Israelis verübt.
Keimzelle militanter Palästinenser
Die Region um Dschenin und das dazugehörende örtliche Flüchtlingslager mit rund 17’000 Einwohnern gelten seit Jahren als Keimzelle für militante Palästinenser. Neben der im Gazastreifen herrschenden Hamas haben auch der Islamische Dschihad sowie weitere lose Gruppierungen an Einfluss gewonnen. Finanziert werden sie grösstenteils vom Iran, Israels Erzfeind.
Eigentlich ist die palästinensische Autonomiebehörde für die Stadt zuständig. Das israelische Militär wirft ihr jedoch vor, die Kontrolle verloren zu haben. Sie gehe nicht ausreichend gegen terroristische Aktivitäten vor.
Zuletzt kam es vor gut 20 Jahren während des zweiten Palästinenseraufstandes zu einem vergleichbaren Einsatz. Im Jahr 2002 lieferten sich israelische Soldaten und militante Palästinenser in den engen Gassen des Lagers tagelange Gefechte. Mehr als 50 Palästinenser und 23 israelische Soldaten wurden damals getötet.
Israels Polizei ruft zu Wachsamkeit auf
Israels Polizeichef Kobi Schabtai rief nach dem Anschlag in Tel Aviv zu erhöhter Wachsamkeit auf. Die Motivation für Anschläge habe sich aufgrund des Militäreinsatzes in Dschenin weiter erhöht.
In der palästinensischen Stadt, die keine 80 Kilometer von Jerusalem entfernt liegt, setzten israelische Soldatinnen und Soldaten unterdessen ihre Militäroffensive fort. Am frühen Morgen seien mehrere Waffen sowie militärische Ausrüstung beschlagnahmt worden, teilte die Armee mit. Darüber hinaus wurden den Angaben nach ein unterirdischer Schacht zur Lagerung von Sprengkörpern sowie «Räumlichkeiten terroristischer Organisationen» zerstört.
Palästinensischen Berichten zufolge wurden Tausende Menschen in der Nacht aus dem Flüchtlingslager evakuiert und in nahe gelegene Notunterkünfte gebracht. Mehrere Menschenrechtsorganisationen äusserten sich besorgt über die Lage vor Ort für die Zivilbevölkerung.
Sicherheitslage extrem angespannt
Tel Aviv wurde in diesem Jahr bereits mehrfach Ziel von Anschlägen. Die Sicherheitslage in Israel und im Westjordanland mit rund drei Millionen Einwohnern ist seit langem angespannt, zuletzt nahm die Gewalt nochmal zu. Seit Beginn des Jahres kamen mehr als zwei Dutzend Menschen bei Anschlägen von Palästinensern ums Leben. Im gleichen Zeitraum wurden rund 150 Palästinenser bei gewaltsamen Zusammenstössen, israelischen Militäreinsätzen oder nach eigenen Anschlägen getötet.
Israel hatte das Westjordanland und Ost-Jerusalem während des Sechstagekrieges 1967 erobert. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete als Teil eines eigenen Staats. Eine Zweistaatenlösung für den seit Jahrzehnten währenden Nahost-Konflikt scheint jedoch in weiter Ferne. Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern liegen seit 2014 brach. (dpa)