
Belastende Arbeitsbedingungen bei Migros Online – Arbeitsinspektor deckt Mängel auf
Die Migros gehört zu den beliebtesten Schweizer Firmen. Auch in den Rankings der besten Arbeitgeber schaffen es die Migros und ihre Tochtergesellschaften immer wieder auf Spitzenpositionen. Doch bei der Tochtergesellschaft Migros Online, dem Internetshop des Detailhändlers, mehren sich Zweifel am Image der Musterarbeitgeberin. So haben zwei kantonale Arbeitsinspektorate aufsichtsrechtliche Verfahren eröffnet, und auch die Gewerkschaft Unia ist auf den Plan getreten.
In den Lagerhäusern von Migros Online werden täglich Tausende von Bestellungen wie Lebensmittel und Non-Food-Artikel sicher kommissioniert und verpackt. Doch für die Gesundheit der Mitarbeitenden waren die Arbeitsprozesse nicht immer sicher.
Gemäss den Angaben von rund einem Dutzend Mitarbeitenden mussten sie täglich schwere Kisten mit bis zu 31 Kilo tragen, die damit oft über der gesetzlichen Gewichtsgrenze liegen. Doch dies ist nur einer der Gründe, weshalb ehemalige und aktuelle Angestellte des Migros-Online-Logistikzentrums in Pratteln BL Beschwerden über die belastenden Arbeitsbedingungen eingereicht haben.
Arbeitsinspektorat meldet Verstösse
Darauf reagierte das Arbeitsinspektorat Basel-Landschaft. Es führte am 27. September 2024 eine Betriebskontrolle im Lager Pratteln durch und meldete dabei zahlreiche «Verstösse». Auch im Aargau wurde ein Verfahren wegen «Mängeln im Arbeitssicherheitssystem» eröffnet, nachdem Hinweise auf ähnliche Probleme eingegangen waren. Welche Mängel es konkret sind, wollten die Behörden mit Verweis auf das «laufende Verfahren» nicht kommentieren. Es seien jedoch diverse Auflagen zur Verbesserung gemacht worden, die bei Nichtbefolgung in schweren Fällen zu einer Strafanzeige hätten führen können.
Die Migros erklärt auf Anfrage, dass sie die Auflagen der Behörden umsetze. «Wir haben bereits Massnahmen zur Reduktion der Gewichtsbelastung umgesetzt», teilt das Unternehmen mit. Dazu zähle die Anpassung der Fördertechnik, wodurch Kisten geschoben statt getragen werden können. Einige Mitarbeitende bestätigen die Verbesserungen. Doch noch seien nicht alle Probleme bei Migros Online gelöst.
Umstrittenes Bonusprogramm
Unabhängig von den behördlichen Mängeln sorgt das interne Bonusprogramm bei den Mitarbeitenden für Kritik. Für eine Vollzeitstelle erhalten Mitarbeitende einen Mindestlohn von etwa 4400 Franken auf 13 Löhne – durch ein Leistungsprogramm können sie einen monatlichen Bonus von mehreren hundert Franken zusätzlich verdienen. Wie ein Familienvater berichtet, sei er auf diesen Bonus existenziell angewiesen: «Ich habe deshalb nie einen Krankheitstag bezogen in den letzten Jahren.»
Denn ab dem ersten Krankheitstag wird der Bonus anteilsmässig gekürzt. Wer eine Woche krank ist, erhält keinen Bonus. Auch bei Arbeitsunfällen entfällt er, wie diverse Mitarbeitende kritisieren. Diese Regelungen würden dazu führen, dass viele Mitarbeitende auch dann zur Arbeit erscheinen, wenn sie sich krank fühlten. Für Unverständnis sorgt auch, dass das Bonussystem je nach Abteilung variiert. In einer Abteilung komme es beispielsweise darauf an, wie schnell und wie viele Produkte gescannt werden. In einer anderen sei die Fehlerquote ein Faktor.
Der Leistungsdruck sei jedoch in allen Abteilungen spürbar. «Wer nur ein paar Sekunden untätig ist, wird ermahnt oder verliert einen Teil des Bonus», erzählt ein Lagermitarbeiter. «Ich arbeite gerne, aber wir sind Menschen, keine Roboter.»
In den Gesprächen mit den Mitarbeitenden zeigt sich, dass viele die Hoffnung auf Unterstützung durch die Gewerkschaft Unia setzen. «Die Missstände bei Migros Online sind uns bekannt und wurden von zahlreichen Beschäftigten benannt», hält die Gewerkschaft fest. Die Unia sei von einem Grossteil der Belegschaft mandatiert worden, ihre Interessen gegenüber der Migros zu vertreten. «Derzeit finden Gespräche der Unia mit dem Personal statt, um die nächsten Schritte gemeinsam zu definieren.»
Mindestlohn ist auch ohne Bonus garantiert
Die Migros selbst sieht jedoch keinen Handlungsbedarf: «Es besteht keine Notwendigkeit oder Verpflichtung, zusätzliche Gespräche mit der Unia zu führen», schreibt der Detailhändler. Grund dafür sei, dass die Unia nicht als Sozialpartner der Migros anerkannt werde.
Auch beim Bonusprogramm zeigt sich das Unternehmen nicht verhandlungsbereit: «Der Bonus ist eine leistungs- und qualitätsabhängige Salärkomponente, die über den Migros-Mindestlohn für ungelernte Arbeitskräfte hinausgeht.» Mitarbeitende, die krankheits- oder unfallbedingt fehlen, leisteten laut der Migros keinen vollen Beitrag zur Übererfüllung der Leistungsvorgaben und erhielten daher einen gekürzten oder keinen Bonus. Der ausbezahlte Lohn liege auch ohne Bonus immer «mindestens beim Migros-Mindestlohn von 4200 Franken pro Monat».