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Selbst ein IT-Crack hat es schwer: Warum nur wenige ukrainische Flüchtlinge einen Job finden

IT-Crack seit 15 Jahren: Trotzdem findet der Ukrainer Yurii Masalitin in der Schweiz keinen Job. Für das ehrgeizige 40-Prozent-Ziel des Bundes verheisst das nichts Gutes.

Die Nachricht liess aufhorchen. Wenn nichts geschehe, würden bis 2030 rund 40’000 IT-Fachleute fehlen, warnte der Dachverband ICT-Berufsbildung Schweiz im Dezember 2022. Wenn Yurii Masalitin das hört, wird er nachdenklich. «Davon merke ich nichts.» Seit seiner Flucht aus seiner kriegsversehrten Heimat im März 2022 sucht der 42-jährige Ukrainer nach einem Job – doch bislang vergeblich.

Obwohl in der Branche händeringend nach Programmierern, Softwareentwicklern und Informatikern gesucht wird, erhält Masalitin nur Absagen. Trotz 15 Jahren einschlägiger Berufserfahrung. Zuletzt leitete er den IT-Bereich in einem bekannten medizinischen Unternehmen in der ostukrainischen Stadt Charkiw.

So wie Yurii Masalitin geht es vielen Ukrainerinnen und Ukrainern, die seit der russischen Invasion in die Schweiz geflüchtet sind. Im Gegensatz zu den Personen, die das reguläre Asylverfahren durchlaufen, dürfen sie zwar ab dem ersten Tag nach Erhalt des Schutzstatus S einer Arbeit nachgehen. Die Jobsuche verläuft indes harzig. Heute geht jeder vierte Ukrainer im erwerbsfähigen Alter einer Arbeit nach.

«Nidwalden ist keine IT-Location»

Obwohl die Erwerbsquote damit höher ausfällt als bei Geflüchteten aus anderen Regionen, genügt sie dem Bundesrat nicht. Sein Plan: Bis Ende Jahr sollen 40 Prozent der Schutzsuchenden einen Job haben. Dieses Ziel hatte die Landesregierung letzten November ausgegeben. Damals entschied sie zwar den Status S bis März 2025 zu verlängern. Doch die klammen Finanzen lasten auf den Schultern des Bundesrates. Um Geld zu sparen, möchte er mehr Ukrainer in die Arbeitswelt integrieren.

Ein Blick auf die Statistik zeigt: Bei der Höhe der Erwerbsquote von Ukrainerinnen und Ukrainern gibt es enorme kantonale Unterschiede. So arbeitete Ende Mai in Appenzell Innerrhoden mehr als jeder zweite Schutzsuchende, beim Schlusslicht Genf war es nur jeder zehnte. Generell hapert es in der Westschweiz und im Tessin.

Gut steht Nidwalden da, wo Masalitin mit seiner Frau und seiner damals einjährigen Tochter nach seiner Flucht aus der Ukraine gelandet ist. Die Erwerbsquote beträgt 36 Prozent. «Doch Nidwalden ist keine IT-Location», sagt Masalitin und lacht. Seinen Humor hat er nicht verloren. Seine neue Heimat, die Gemeinde Emmetten am Ufer des Vierwaldstättersees, beschreibt er als wunderschönen Ort, um seinen Lebensabend zu verbringen.

Doch eine Sprache zu erlernen, sei in einem Dorf schwierig, in dem es vor allem Schafe gebe. Von unschätzbarem Wert war der Vater seiner Gastfamilie, der als Deutschlehrer arbeitet und Masalitin unterstützt hat. Ohnehin findet der 42-Jährige nur gute Worte für die Menschen aus Emmetten.

Widersprüchlicher Schutzstatus S

Nicht schlecht reden möchte Masalitin über die Behörden in der Schweiz, doch konkret geholfen hätten sie ihm bei der Jobsuche nicht. Die Nidwaldner Behörden hätten allen Ukrainern beschieden, zuerst Deutsch zu lernen, dann sehe man weiter. Das tat Masalitin und suchte parallel einen Job. Doch seine Bemühungen verliefen im Sand. «Ich hätte zu Beginn sogar gratis gearbeitet. Mir war klar, dass ich mich zuerst beweisen muss.»

Es ist nicht verwunderlich, dass Unternehmen eher zögerlich reagieren. Ukrainische Geflüchtete bewegen sich in einem Spannungsfeld. Die Menschen sollen die Sprache erlernen, Arbeit finden, ihre Kinder in die Schule zu schicken und sich schrittweise integrieren. Gleichzeitig ist der Schutzstatus S rückkehrorientiert und gilt vorerst bis zum 4. März 2025. Wie es danach weitergeht, ist noch unklar. Vielen Arbeitgebern fehlt deshalb die Planungssicherheit.

Auch Masalitin hätte gerne eine Perspektive für sich und seine Familie. «Ich hatte ein normales Leben, einen Job, meine Freunde. Erst zwei Jahre vor dem Krieg habe ich unser Haus mit eigenen Händen gebaut.» Seit der Flucht fühle er sich wie ein Obdachloser. Seine Tochter begreife gar nicht, was geschehen sei. Bald werde sie Schweizerdeutsch plappern.

Masalitin liess sich von Rückschlägen nicht beirren. Sein langer Atem hat sich ausbezahlt. Über eine ukrainische Bekannte wurde er auf Powercoders aufmerksam. Der Verein hilft Geflüchteten, in der englischsprachigen IT-Branche Fuss zu fassen. Die Aufnahme in das Programm ist kein leichtes Unterfangen. Nur jeder zehnte Bewerber ergattert sich einen der jährlich 60 Plätze.

Nächste Station: Steffisburg

Der Erfolg gibt den Machern recht. «Rund 60 Prozent haben nach dem Ausbildungsprogramm eine Festanstellung oder einen Lehrstellenvertrag erhalten», sagt die Medienverantwortliche Christina Gräni. Auch Masalitin kann einen ersten Erfolg verbuchen. Am Career Day, an dem die Teilnehmer des Programms mit rund 30 Unternehmen zusammengebracht wurden, hat er eine Praktikumsstelle zugesichert erhalten.

«Ich hatte 10 Interviews und drei Folgegespräche. Am Ende habe ich mich für Rychiger entschieden», sagt Masalitin. Ab August wird er für drei Monate beim Spezialmaschinenbauer in Steffisburg BE schnuppern. Den Ausschlag gab, dass die Verantwortlichen ihm eine Festanstellung in Aussicht gestellt haben. Der Nachteil? Er muss jeden Tag sechs Stunden pendeln. Wie möchte er das mit seiner Familie unter einen Hut bringen? «Es muss einfach gehen.»

Masalitin könnte den Kanton wechseln. Das ist möglich, falls der Arbeitsweg länger als zwei Stunden dauert. Doch solange er keine feste Anstellung hat, möchte er in Nidwalden bleiben.