Frauen sind schön, wenn sie stillsitzen: Das Kunsthaus Zürich wandelt sich zum Erotikshop der gehobenen Art
Schwül ist die Luft, parfümiert von nobler Gesinnung und Zigarrenrauch. Wer die Ausstellung betritt, tritt ein in den Kopf eines Mannes. Kurz hinterm Eingang schon: die Selbstporträts des besagten Schöpfergottes Aristide Maillol (1861–1944).
Knapp hinter den Bildern dann das erste Ereignis, eine überlebensgrossen Bronze, eine Frau mit auf dem Rücken geknebelten Händen, «Die gefesselte Aktion » (1905). Das Kunsthaus Zürich zeigt Gebirge nackter Frauen, politisch herrlich inkorrekt, mutig und wild entschlossen: Kardashian-mässig aufgeblähte Riesengesässe, gebärfreudige Hüften, Oberschenkel wie Himmelspforten. Gegen den Preis einer Eintrittskarte verwandelt sich das Museum in einen Erotikshop der nobilitierenden Art.
Aristide Maillol ist in der Stadt, und wer den «Cézanne der Bildhauerei», wie man ihn nennt, noch nie live gesehen hat, wird ihn sich nicht entgehen lassen. Er war der Mann, der bekannte: «Sehe ich ein Mädchen vorbeigehen, ziehe ich es mit meinen Augen aus und erblicke unter ihrem Rock Marmor.»
Ehefrau, Hausangestellte, Geliebte: Sie standen Modell, bekannt wurde er
Die Ausstellung «Aristide Maillol. Auf der Suche nach Harmonie » besteht aus kaum etwas anderem als Frauenakten. Er ist der Bildhauerstar der frühen Moderne. Sie, freigegeben zur Beschauung, schön, weil stumm – und einem Ideal von überkommener Harmonie und klassisch griechischem Massstab gehorchend – sind zumeist unbekannt. Maillols Stubenmädchen, seine Hausangestellte, seine Ehefrau Clotilde, seine wechselnden Geliebten, die er als Modelle benutzte.
Es schickte sich damals nicht, sich Künstlern gegen Bezahlung nackt zur Verfügung zu stellen, Modellstehen galt als Einkommensquelle des niederen Stands. Diese Namenlosen versammelt das Kunsthaus in einer gewaltigen Schau in Erinnerung an Maillol, einen Besessenen des weiblichen Akts. Die Initiative dazu stammt vom Pariser Museum d’Orsay, und so importiert sorgen die drallen Weiber in Zürich für Aufsehen.
Hier die machtvolle Frau, dort der besessene Mann
Doch der schnelle Augenschein gilt nicht. Was auf den ersten Blick wie ein Rückfall in männliche Kunstgeschichtsschreibung anmutet, führt in die Irre. Wahr ist wohl: Maillols Frauen sind keine Individuen, sondern Chiffren für die Welt und die Kunst überhaupt.
Der Bildhauer und seine Fixierung auf den Frauenkörper, mit welchem er die Welt erklären wollte, folgt dem damals zeittypischen männlichen Künstlerverständnis und männlichen Blick überhaupt. Die Fantasie «Frau» stand für alles, was grösser und überwältigender schien als das Mängelwesen Mann; Maillols Akte symbolisieren ästhetische Empfindungen wie «La Maritime », «La Rivière» oder «La Montagne », das Mittelmeer, der Fluss oder der Berg. Sie sind in der französischen Sprache weiblichen Geschlechts und stehen für das Animalische, mit dem sich, gesellschaftlich etabliert, die männliche Vorstellung «Frau» verband.
Und selbst als Aristide Maillol öffentliche Aufträge erhielt, Monumente zu Ehren von Künstlern wie Cézanne, Debussy oder für den politischen Revolutionär Louis-Auguste Blanqui zu errichten, entschied er sich für damals Skandalöses: Er schuf auch für sie – nackte Frauenskulpturen! Der Unmut war erheblich, doch der Künstler blieb sich treu. «Die gefesselte Aktion» im Eingangsbereich beispielsweise entstand zu Ehren von Blanqui, dem Mitglied der Pariser Kommune, der die meiste Zeit seines Lebens in unmenschlicher Gefangenschaft zubringen musste.
Und noch etwas macht den Zürcher Blick auf Maillol wichtig: Das Kunsthaus ergänzt das männliche Auge durch das weibliche. In der hauseigenen Sammlung tritt Maillols «Venus mit Halskette» mit einer Vielzahl von Werken von Künstlerinnen ins Gespräch: mit Angelika Kauffmann, Verena Loewensberg, Helen Dahm, Meret Oppenheim oder Sylvie Fleury.
Dazu hat die Kuratorin Catherine McCormack in einer eigenen Publikation einen Essay beigesteuert, der für die Maillol- Rezeption der Zukunft massgebend sein wird. Ihr Fazit ist gnadenlos. In Bezug auf den Dialog mit seinen Kolleginnen urteilt sie: «Maillols Akte sprechen eine tote Sprache.»