Der Markt ist kaputt – es lebe der Parcours!
Alles kommt in Wellen, auf Tal folgt Berg. Hofft zumindest der Markt. Und was spült die Art Basel an ihrer ersten regulären Ausgabe nach der Pandemie so an? Der diesjährige Parcours unter dem Motto «Wachstum in wandelhaften Zeiten» führt jedenfalls direkt unter die Wettsteinbrücke, wo die Polin Maria Loboda einen wohlstandsverwahrlosten Haufen Schwemmholz arrangiert hat, in dem sich Kunststoffrepliken moderner Hochpreisklassiker über Wasser halten: Koons, Arp, Brancusi.
Zwar sei der Messebetrieb nach drei Coronajahren erstmals wieder «back to normal», sagt Parcours-Kurator Samuel Leuenberger, die Vorfreude sei spürbar. «Aber beim Wechsel zurück auf den Junitermin hatten wir drei Monate weniger Vorbereitungszeit. Der Druck war gross.» Bis auf wenige Abstecher lässt der Parcours den Münsterhügel auch diesmal wieder links liegen und schlägt zwischen Kunstmuseum, Elisabethenkirche und Barfüsserplatz ein L in der Basler Innenstadt. Und obwohl Aussenplätze in diesem Jahr besonders umkämpft sind, finden neun der insgesamt 21 Projekte im Freien statt – «so viele wie noch nie».
Wirkt sich der Expansionstrieb der MCH Group auch auf den Parcours aus? Leuenberger relativiert, die Anzahl Positionen bleibe konstant. «Ausserdem bezieht sich das Thema für mich auf ein persönliches, emotionales Wachstum, weniger auf ein ökonomisches.» Am Parcours reize ihn keine klassische Skulpturenausstellung, sondern der soziale Tiefgang. «Durch das Wissen, dass wir konstant mit unseren Handys mittragen, sind wir plötzlich überall involviert. Das fordert unsere Empathie und unser Verständnis davon, was normal ist, enorm heraus.»
Und das Verständnis stösst durchaus an Grenzen, wie das erste Aussenprojekt in der Freien Strasse klarmacht: Die Skulptur mit männlichem Fortpflanzungsorgan und weiblichen sekundären Geschlechtsmerkmalen trägt den Titel «Woman». «Gender», weht ein Dialogfetzen vorüber, «als hätten wir nicht andere Probleme.» Leuenberger dürfte eine solche Reaktion sportlich nehmen. «Wie die französische Sportart Parcours reagieren wir ja auch auf Architektur und dehnen unsere Komfortzonen.» Natürlich wolle man jedem Ort mit Respekt begegnen, aber manchmal stelle sich ein Werk eben als politischer heraus als zunächst gedacht.
Ein tranchierter Fiat und bekritzelte Schulbänke
Die Unterbelegung des Parkings Kunstmuseum stellt Simon Starling jedenfalls treffend heraus. In der grossartig leeren Flucht des Parkhauses hat der Brite einen mit dem Laser tranchierten Fiat-Klassiker der Reproduktion eines Barockgemäldes von Tiepolo gegenübergestellt. Dieses war im 19. Jahrhundert zerschnitten worden, worauf das kleinere Teil seinen Weg in die Fiat-Unternehmerfamilie Agnelli fand. Als Teilkunstwerk funktioniert das Gemälde immer noch, was sich von dem Auto nicht unbedingt sagen lässt. Obwohl sich das Einparkieren bestimmt leichter gestaltet.
Schräg gegenüber präsentiert der Kolumbianer Oscar Murillo in der Lounge der UBS eine Serie «tragbarer Skulpturen»: Kleidungsstücke, die mit Motiven bedruckt sind, die Kinder weltweit bei einer Aktion auf ihre Schulbänke gekritzelt haben. Neben diversen Cartoonfiguren, religiösen Symbolen, Körperteilen und Architektur darf der unverwüstliche Totenkopf nicht fehlen. Von diesem hat der Australier Ron Mueck vor der Barfüsserkirche ein besonders eindrückliches Exemplar aus Gusseisen aufgestellt. Obwohl auch hier natürlich gilt: Bitte nicht berühren!
Und auch diesmal funktioniert der Art Parcours wieder als Türöffner für verschlossene oder selten besuchte Orte: Der Park hinter dem Kunstmuseum ist ein Schmuckstück, und das gotische Gewölbe unter der Elisabethenkirche eine echte Entdeckung: Tobias Rehberger lockt beim Theaterplatz mit blinkendem Neonlicht in den Untergrund, wo sich plötzlich die Krypta der Elisabethenkirche weitet, in der turmartige Gebilde glühen. Infernalischer Rauch oder himmlische Cumulonimbi? Wir entscheiden uns für die Wolken: Irgendwie muss der Rhein seinen Pegel ja halten.