Er übernimmt den heikelsten Job des Bundes: Vincenzo Mascioli wird neuer Asylchef – zum Ärger der SVP
Er übernimmt einen der anspruchsvollsten Jobs beim Bund. Mit Kritik muss er leben können – als oberster Asylchef gehört das dazu. Er sollte auf internationalem Parkett ebenso bestehen können wie in der Turnhalle, wenn er Bürgerinnen und Bürger über ein neues Asylzentrum informiert. «Turnhallen-Tauglichkeit», so nennen manche diese Fähigkeit. Und mit den Politikern und Kantonsvertretern sollte er es bitteschön auch noch gut können.
Für diese schwierige Aufgabe hat der Bundesrat nun Vincenzo Mascioli auserkoren. Der 54-Jährige wurde am Mittwoch zum neuen Staatssekretär für Migration ernannt. Ab Januar übernimmt er die Leitung des Staatssekretariats SEM mit rund 1300 Mitarbeitenden – und politisch heissen Themen wie Asyl und Personenfreizügigkeit. Er folgt auf die Diplomatin Christine Schraner Burgener, die nach nur drei Jahren das SEM Ende Jahr verlässt.
Mascioli kennt das Staatssekretariat für Migration bereits gut. Der ausgebildete Sekundarschullehrer und ehemalige persönliche Mitarbeiter von Bundesrätin Simonetta Sommaruga ist seit 2017 Vizedirektor des SEM. Er leitet dort den Direktionsbereich Internationale Zusammenarbeit, gilt auch als «Mister Rückführungen». «Der Bundesrat ist überzeugt, dass er das SEM im In- und Ausland glaubwürdig vertreten kann», schreibt der Bund in der Medienmitteilung.
Das geleakte Protokoll
Vom Vizedirektor zum Direktor: Das ist eigentlich ein gängiger Schritt. Doch im Falle Masciolis gabs schon vor der Wahl Kritik.Die «NZZ am Sonntag» berichtete just diesen Sonntag gestützt auf ein vertrauliches Protokoll, wie Mascioli an einer Sitzung der Staatspolitischen Kommission mit zwei Nationalräten aneinandergeriet: SVP-Nationalrat Gregor Rutz und Mitte-Präsident Gerhard Pfister. Dass Mascioli als neuer Asylchef gehandelt wurde, kommentierte Rutz gegenüber der Zeitung mit: «Um Himmels willen. Ich hoffe, das stimmt nicht.»
Zu reden gibt Masciolis Hintergrund, genauer: dass er zuvor für zwei SP-Bundesräte gearbeitet hat. Er war zunächst im Stab von Moriz Leuenberger tätig, danach sechs Jahre lang persönlicher Mitarbeiter von Simonetta Sommaruga.
Ob es vor diesem Hintergrund klug war von SP-Bundesrat Beat Jans, Mascioli zu ernennen? Das fragen sich manche Politikerinnen und Politiker. Als «Mister Rückführungen» ist Mascioli allerdings im SEM nicht durch eine linke, «softe» Haltung aufgefallen, wie es heisst.
Rückführungen vorangetrieben
Eduard Gnesa weiss, wie es ist, oberster Asylchef zu sein: Er hat das damals neu geschaffene Bundesamt für Migration als erster Direktor geleitet und verfolgt die Migrationspolitik noch immer sehr genau. Mascioli sei eine gute Wahl, sagt Gnesa, er habe seine Arbeit als Vizedirektor sehr gut gemacht. «Mascioli hat bei den Rückübernahmeabkommen und den Migrationsabkommen vorwärts gemacht. Unter anderem konnte er die Blockade mit Algerien lockern sowie Abkommen mit Georgien und Nordmazedonien aushandeln.»
Mascioli habe auch dazu beigetragen, dass die Anzahl Rückführungen von abgewiesenen Asylbewerbern im europäischen Vergleich am höchsten sei, sagt Gnesa. Durch seine Arbeit als Vizedirektor verfüge er bereits über viele Kontakte, auch international, was sehr wichtig sei. Gleichzeitig attestiert ihm Gnesa auch ein Gespür für die innenpolitische Diskussion.
Letztere kennt Mascioli schon aus seiner Zeit als persönlicher Mitarbeiter von Sommaruga. Damals betreute er auch das Migrationsdossier und insbesondere die 2016 vom Stimmvolk angenommene Asylreform, wie es in der Medienmitteilung heisst. Er bringt damit mehr Erfahrung mit als seine Vorgängerin Christine Schraner Burgener, die zuvor als Sondergesandte der UNO in Myanmar gewirkt hatte.
Fragezeichen bei der Turnhallen-Tauglichkeit
Mit Mascioli setzt der Bundesrat nun wieder auf eine interne Lösung. Wer sich bei Politikern und Politikerinnen umhört, erhält kein eindeutiges Bild über Mascioli. Nicht beliebt ist er bei der SVP, der härtesten Kritikerin der Schweizer Asylpolitik – nicht nur Rutz wählt hier klare Worte. Bei anderen bürgerlichen Politikerinnen und Politikern kommt er aber durchaus gut an. Sie verweisen auf seine langjährige Erfahrung als SEM-Vizedirektor.
«Ich habe ihn immer als kompetent erlebt, auch in der Kommunikation mit den Kantonen», sagt Mitte-Ständerätin Marianne Binder, die Mitglied der Staatspolitischen Kommission ist. Auch GLP-Ständerätin und Kommissionsmitglied Tiana Moser sagt, Mascioli sei «sehr kompetent und lösungswillig».
Für die SP hingegen ist die Wahl Masciolis ein zweischneidiges Schwert, wie SP-Fraktionschefin Samira Marti sagt. Er bringe viel Erfahrung mit, sagt sie. «Aber er hat dazu beigetragen, dass die Schweiz bei den Rückführungen und Ausschaffungen eine zu repressive Linie fährt.» Als SEM-Direktor müsse er auch an die humanitäre Tradition der Schweiz denken.
SVP-Nationalrätin Martina Bircher wiederum hat Zweifel, ob Mascioli der richtige ist, um in einer Turnhalle die Bevölkerung von einem Asylzentrum zu überzeugen. «Ein SEM-Direktor muss Einfühlungsvermögen haben, auf Augenhöhe mit den Menschen kommunizieren und auf die Ängste und Sorgen der Bevölkerung eingehen können», sagt sie. «Hier habe ich Fragezeichen. In der Kommission habe ich Mascioli als sehr selbstbewusst erlebt; als jemand, der sich nichts sagen lässt.»
Mit dieser Art ist er offensichtlich in der Nationalratskommission auch Pfister und Rutz auf die Füsse getreten. Andere schätzen allerdings genau das: Dass er die Fakten darlegt und sagt, was funktioniert – und was nicht. Manche beschreiben ihn als eher zurückhaltend, technokratisch, eher träge und nüchtern. Schlecht muss das nicht sein: Einer, der Hektik verbreitet und schnell emotional wird, wäre als oberster Asylchef fehl am Platz.