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Nationalrat verbietet Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene – die SP findet das unmenschlich und lanciert einen Appell

In vielen Punkten hat Justizminister Beat Jans seinen Abwehrkampf gegen Verschärfungen in der Asylpolitik gewonnen. Beim Familiennachzug kassierte er eine Niederlage. Auch im Ständerat hat er schlechte Karten.

Kurz nach Mittag sind am Dienstag die Würfel gefallen. Der Nationalrat entscheidet mit 105 zu 74 Stimmen, dass vorläufig aufgenommene Personen künftig kein Recht mehr auf Familiennachzug haben sollen.

Es dauert kaum eine Minute, da eilt die SP ihrem unterlegenen Bundesrat Beat Jans zu Hilfe. Während der Rat noch über Vorstösse der ausserordentlichen Asylsession abstimmt, lanciert die SP per Medienmitteilung einenAppellan den Ständerat, der am Mittwoch über einen gleichlautenden Vorstoss befindet: Er solle «diesen Angriff auf die Menschenrechte von Kriegsflüchtlingen» stoppen. Schon drei Stunden später hatten ihn online mehr als 13’000 Personen unterstützt.

Das Verbot des Familiennachzugs ist die auffälligste Verschärfung, welche die SVP mithilfe von FDP und Mitte ins Ziel brachte.Daneben stimmte der Rat auch einem Vorstoss für systematischen Datenaustausch von illegalen Migranten zu.

Knapp gescheitert mit 89 Ja- zu 94 Nein-Stimmen ist die SVP mit dem Vorschlag, nicht mehr auf Asylgesuche von Personen einzutreten, die via sichere Drittstaaten in die Schweiz gekommen sind. Auch die Schaffung von Transitzonen in Grenzkantonen verwarf der Rat mit 97 zu 90 Stimmen. Mit allen Verschärfungen drang die SVP nicht durch, obwohl vor allem die FDP, aber auch die Mitte härtere Töne in der Asylpolitik von sich geben.

SVP argumentiert mit negativem Asylentscheid

Was bleibt, ist also das Verbot des Familiennachzugs. Die Erklärung dafür geht so: Vorläufig aufgenommene Personen haben einen negativen Asylentscheid und müssten die Schweiz eigentlich verlassen. Deshalb macht der Familiennachzug keinen Sinn. Ausserdem werde Missbrauch betrieben, moniert die SVP. Die Familienzugehörigkeit werde praktisch nie kontrolliert.

Vorläufig aufgenommene Personen sind nicht individuell bedroht, werden aber aufgrund von Unzumutbarkeiten wie Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt oder medizinischer Notlage nicht in ihre Heimat zurückgeschickt. Der Begriff vorläufige Aufnahme ist irreführend. Die allermeisten Menschen bleiben definitiv in der Schweiz.Zum Beispiel zwischen 2011 und 2021 erteilte der Bund 65’126 vorläufige Aufnahmen; etwa 35’000 Personen erhielten in diesem Zeitraum in der Folge eine Aufenthaltsbewilligung. Tatsächlich ausgeschafft wurden nur 112 vorläufig aufgenommene Personen.

Bundesrat will Wartefrist verkürzen

Auf die Migrationsbilanz hat der Entscheid des Nationalrats einen beschränkten Einfluss. In den letzten Jahren hiessen die Behörden durchschnittlich 126 Gesuche um Familiennachzug für vorläufig aufgenommene Personen gut. Für eine positive Antwort müssen die Gesuchsteller verschiedene Bedingungen erfüllen: Sie müssen mindestens drei Jahre in der Schweiz leben, wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen, eine genug grosse Wohnung haben und sich in der Ortssprache verständigen können.

Der Bundesrat möchte die Wartefrist für den Familiennachzug auf zwei Jahre verkürzen. Grund dafür ist ein Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 9. Juli 2021. Dieser hielt fest, die dreijährige Wartefrist verstosse gegen das Recht auf Achtung des Familienlebens. Dieses Recht ist auch in der Bundesverfassung verankert.

Beat Jans argumentierte deshalb in der Ratsdebatte, dass verweigerte Gesuche um Familiennachzug von Gerichten höchstwahrscheinlich kassiert würden. Er sagte, die Identität der nachzuziehenden Personen werde systematisch überprüft, auch eine Sicherheitsprüfung werde gemacht. Im Ratssaal mahnte er die Volksvertreter: «Sie würden Familien auseinanderreissen von Menschen, die gut integriert sind, arbeiten und ihr Geld selber verdienen.»

Gegenseite bezeichnet Entscheid als «unmenschlich»

Die Worte des Justizministers verfehlten ihre Wirkung. Dafür freute sich die SVP und schrieb in einer Medienmitteilung, «dass im Parlament bei den bürgerlichen Parteien langsam ein Umdenken stattfindet».

Auf der Gegenseite hingegen herrschte Konsternation. Für den Berner EVP-Nationalrat Marc Jost hat die grosse Kammer eine rote Linie überschritten. Der Entscheid, den Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene abzuschaffen, sei nicht nur unmenschlich, sondern verstosse auch gegen die Verfassung. Auch SP-Co-Präsident Cédric Wermuth taxierte den Entscheid als «unmenschlich»; er stelle die Grundwerte der Schweiz infrage.

Die unmittelbare Frage lautet nun, ob sich der Ständerat den Aufruf der SP zu Herzen nimmt und den Familiennachzug weiterhin gewährt. Gemäss Recherchen dieser Zeitung dürften aber die Mitte und die FDP mehrheitlich für die härtere Gangart stimmen. Womit die SVP auch in der kleinen Kammer eine Mehrheit erreichen dürfte.