Ein Urkrokodil, Korallen und das beste Gestein für den Atommüll – diese Schätze hortet die Nagra in Mellingen
Die erste Bohrung war 1982 in Böttstein im Zurzibiet, die letzte 2022 im zürcherischen Bachs. Über 40 Jahre lang durchlöcherte die Nagra, kurz für Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, die Nordschweiz. Das Ziel: den sichersten Ort für die verbrauchten Brennelemente und andere radioaktiv belastete Bauteile aus den Atomkraftwerken zu finden.
Ihren Wunschstandort gab die Nagra dann Ende 2022 bekannt: «Nördlich Lägern» im Zürcher Unterland. Die oberirdischen Gebäude will sie in Stadel, unweit der aargauischen Grenze, bauen. «Die Geologie hat gesprochen», sagte Nagra-CEO Matthias Braun damals. Am Dienstag stand Braun erneut vor den Medien und präsentierte die Grundlage für den Entscheid: das Bohrkernarchiv.
In einer Halle am Dorfrand von Mellingen lagert die Nagra schon seit Jahren ihre Gesteinsproben. Nun öffnet sie die Türen für die Öffentlichkeit.
Im hinteren Teil der Lagerhalle stapelt sich in Regalen der eigentliche Schatz, die rund 6700 Bohrkerne, verpackt in schmalen Holzkisten. Infotafeln in der kleinen Ausstellung zeigen, wo überall gebohrt wurde und wie die Gesteinsschichten aufgebaut sind.
Ausgestellt sind auch zufällig angebohrte Fossilien von Lebewesen, die vor über 200 Millionen Jahren im Jurameer lebten, darunter Korallen und Röhrenwürmer. Vom spektakulärsten Fund, einem Urkrokodil, konnte allerdings nur ein winziges Stück Wirbelsäule geborgen werden. In voller Grösse sind hingegen die Häuser von Ammoniten, Verwandten der heutigen Tintenfische, zu betrachten.
Gestein ist wichtigste Sicherheitsbarriere für Atommüll
Nach den Ammoniten ist auch die Gesteinsschicht benannt, in der der Schweizer Atommüll dereinst gelagert werden soll. Der Opalinuston verdankt seinen Namen einer Ammonitenart mit schillerndem Gehäuse, lateinisch Leioceras opalinum. Sie wurde im grauschwarzen Schieferton besonders häufig gefunden. Das dichte, eintönige Gestein sei für einen Geologen ‹die reine Langeweile›, sagt der Nagra-Chef.
Genau diese Eigenschaften machen aber den Opalinuston für die Lagerung der radioaktiven Abfälle so attraktiv. Dank seiner dichten Struktur ziehe der Stein die Isotope wie ein Magnet an, sollten sie unbeabsichtigt aus dem Gebinde entweichen, sagte Braun. «Falls Wasser durch Risse in die Gesteinsschicht eindringt, quillt der Stein auf wie Katzenstreu.»
Die Beschaffenheit des Opalinustons gab auch den Ausschlag bei der Standortwahl. In die engere Auswahl kamen neben «Nördlich Lägern» auch «Jura Ost», ein Gebiet um den Bözberg, sowie «Zürich Nordost», in den Kantonen Zürich und Thurgau. Von allen drei Standorten befinde sich der Opalinuston in «Nördlich Lägern» am tiefsten im Untergrund, sagt Braun. Zudem habe man nirgends so eine grosse, ebene Fläche gefunden.
Bald sind mehr Details zum Tiefenlager bekannt
Definitiv ist die Standortwahl aber noch lange nicht, Bundesrat und Parlament müssen erst noch zustimmen. Zuvor muss die Aufsichtsbehörde, das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat, den Vorschlag der Nagra beurteilen. Dafür reicht die Genossenschaft nun im Herbst das Rahmenbewilligungsgesuch ein. Genau genommen sind es zwei Gesuche: eines für das Tiefenlager in Nördlich Lägern und eines für die Verpackungsanlage, die in Würenlingen gebaut werden soll.
Die Gesuche, aus denen unter anderem die Lage und die Grösse der Oberflächenanlagen hervorgehen, dürften auch in der Öffentlichkeit wieder für Aufsehen sorgen. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Nagra kurz vorher ihr Bohrkernarchiv öffnet. Die Ausstellung solle als Plattform für den Dialog dienen, sagt Braun.