Schlauchboote, Gleitschirme und ein falscher Terrorangriff: Das sind die spektakulärsten Protestaktionen beim AKW Beznau
Seit Jahren streiten sich Gegner und Befürworterinnen von Atomkraft darüber, wie sicher oder unsicher die Anlage in Beznau ist oder wo der Atommüll entsorgt werden soll. Die Umweltorganisation Greenpeace lieferte sich immer wieder ein Katz-Maus-Spiel mit den AKW-Betreibern und der Polizei. Anbei eine Auswahl spektakulärer Protestaktionen der vergangenen dreissig Jahre.
Im Frühling 1993besetzen etwa drei Dutzend Aktivistinnen und Aktivisten Teile des AKW-Geländes. Sie protestieren gegen den Einbau neuer Dampferzeuger für 100 Millionen Franken, welche sie für eine Fehlinvestition halten.
Sie fahren in Schlauchbooten von Döttingen her flussaufwärts zur Aareinsel Beznau mit dem AKW. Dort werden sie von der Feuerwehr erwartet und abgespritzt. Einige schaffen es aber trotzdem mit Leitern über den Zaun. Sie befestigen Transparente mit der Aufschrift «Kein atomares Flickwerk – AKW Beznau stilllegen» an einem Kran. Gleichzeitig landen vier Aktivisten mit Gleitschirmen auf dem Reaktorgebäude. Mittels Transparenten fordern sie dort «Abschalten statt Aufrüsten».
Die Aktion dauert rund zwei Stunden, bis die Betriebswache und die Polizei das Gelände räumen. Diese verhaftet fünfzehn Greenpeace-Aktivisten, die sich später vor Gericht wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung verantworten müssen. Greenpeace spricht in der Folge von roher Gewalt seitens der Polizei, der Kraftwerksleiter hingegen betont gegenüber der Presse, ihm seien keine tätlichen Übergriffe bekannt. Die Dampferzeuger konnten jedenfalls ungehindert eingebaut werden.
Im Frühling 1994ketten sich maskierte Greenpeace-Aktivisten in Muttenz an einen Bahntransporter, der abgebrannte Brennelemente aus Beznau enthält. Sie wollen den Transport dieses Atommülls in die umstrittene Wiederaufbereitungsanlage im britischen Sellafield verhindern. Er soll stattdessen nach Beznau zurückgeschickt werden. Weiter fordern sie den Ausstieg aus der Plutonium-Wirtschaft.
Im September desselben Jahres behindern Aktivisten auf dem Gelände des AKW Beznau einen weiteren Abtransport von Brennelementen. Sie befestigen einen Prellbock und einen grossen Metallkasten an den Schienen beim Atomkraftwerk. Zwei Aktivisten schliessen sich im Metallkasten ein. Bald steht aber schon die Polizei auf dem Platz und die Feuerwehr schweisst den Metallkasten auf. Laut dem Kraftwerkleiter hatte die Aktion keine Konsequenzen für den Betrieb des AKW.
Im selben Jahr bringt Greenpeace den Vorwurf in Umlauf, wonach Angestellte des AKW Alkohol- und Drogenprobleme hätten. Die Mitarbeitenden kontern und sprechen von einem «Griff in die unterste Schublade der politischen Auseinandersetzung». Die Vorkommnisse von 1994 setzen eine Debatte darüber in Gang, ob Greenpeace weiterhin steuerbefreit Spendengelder erhalten dürfen sollte.
Im März 1997errichten Aktivisten auf den Gleisen vor dem AKW einen zwölf Meter hohen Turm, um wiederum den Abtransport von Brennelementen nach Grossbritannien zu verhindern. Zwei Mitglieder ketten sich an den Turm, weitere direkt ans Gleis. Der Werkschutz und die Polizei sperren die Brücke zum Werkgelände mit Stacheldraht ab.
Die Aktivisten lassen ein Ultimatum zum Verlassen des Geländes verstreichen. Nach elf Tagen räumt die Polizei den Platz. Die Kraftwerksleitung reicht Anzeige wegen Hausfriedensbruch ein und macht später eine Schadenersatzforderung von 250’000 Franken geltend. Auf den AKW-Betrieb habe die Aktion aber keinen Einfluss gehabt.
Anfang September 2002,ein Jahr nach den 9/11-Terrorflügen auf das World Trade Center in New York, inszeniert Greenpeace einen Terrorangriff auf das AKW Beznau. Damit stellen sie infrage, wie sicher die Anlage gegen einen Anschlag wäre.
Aktivisten verlegen in der Nacht ausserhalb des Werkgeländes über tausend Meter Draht. Am Morgen zünden sie neun Rauchpetarden als Ablenkung und lassen einen Lastwagen vor das Werktor fahren. Eine Lastwagenbombe hätte gemäss Greenpeace im Ernstfall das Tor durchbrechen und Nebenanlagen zerstören können. Damit will Greenpeace aufgezeigt haben, dass eine entschlossene Terrorgruppe einen Kernschmelzunfall auslösen und das Umland radioaktiv verseuchen könnte.
Die Werksleitung weist die Vorwürfe zurück. Sie habe die Aktivisten schon Wochen zuvor bei den Vorbereitungen beobachtet und die Polizei eingeschaltet. «Die Sache war für uns ein voraussehbares Geplänkel», sagt der Werksleiter. Später kommt aber heraus, dass sich vor der Aktion zwei Taucher nachts unbehelligt in der Nähe sicherheitsrelevanter Leitungsmasten aufhielten, ohne dass der diensthabende Wächter sofort reagiert hatte. Die Identität der Taucher ist bis heute ungeklärt.
In späteren Jahren nahm sich Greenpeace mit seinen Aktionen etwas zurück. Die Zeit der waghalsigen Proteste war vorbei. Selbst die Kampagnenleiter gestanden sich ein, dass sich die Spektakel totlaufen, wenn sie zu häufig als Mittel genutzt werden. 2008 stellten Aktivisten beim AKW Beznau noch eine Bautafel mit der Aufschrift «Kein Kraft-Werk» auf.
Seither gab es etwa Märsche oder Veloaktionen, zweimal protestieren Menschen auf der Rheinbrücke am Grenzübergang zwischen Koblenz und Waldshut. Die letzte aufsehenerregende Beznau-Aktion von Greenpeace war 2014: Rund hundert Aktivisten war es gelungen, mit Leitern ins Gelände zu dringen. Sie kletterten an Gebäuden hoch und entfalteten Transparente.