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Ausweiszwang im Internet? Provokative Kampagne der Piratenpartei hat Erfolg

Das umstrittene Jugendschutzgesetz kommt vors Stimmvolk. Eine Allianz aus Piratenpartei, Operation Libero und Coronaskeptikern hat erfolgreich das Referendum ergriffen. Sie fürchtet einen Ausweiszwang im Internet. Zu Unrecht, sagt die Gegenseite.

Am Ende hat es doch gereicht: Das Referendum gegen das neue Jugendschutzgesetz steht. Die Piratenpartei und ihre Mitstreiter haben am Donnerstag die notwendigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht. «Wir wurden in so kurzer Zeit von Unterschriften überflutet, dass wir gar nicht mehr nachzählen konnten, sondern schätzen müssen. Demnach sind wir bei über 50’000 Unterschriften», sagt Kampagnenleiter Pascal Fouquet.

Das ist bemerkenswert. Schliesslich standen die Referendumsführer allein auf weiter Flur. Keine der etablierten Parteien oder Verbände unterstützten das Vorhaben. Im Parlament war das Gesetz letzten Herbst auf breite Zustimmung gestossen. Jugendliche müssten besser vor Gewalt- und Sexdarstellungen geschützt werden, lautete der Tenor. In die Pflicht nehmen möchte die Politik Plattformdienste wie Youtube: Diese sollen selbst ein System einrichten, um das Alter der Nutzerinnen und Nutzer zu überprüfen.

Ausweiszwang im Internet

Doch genau an dieser Alterskontrolle stören sich die Gegner. Sie warnen davor, dass dafür eine Kopie eines amtlichen Ausweises hochgeladen werden müsse. Für Pascal Fouquet, Vizepräsident der Piratenpartei, mündet dieser «Ausweiszwang im Internet» in einem «massiven Missbrauch persönlicher Daten». «Das Parlament bietet amerikanischen Grosskonzernen wie Google und Facebook oder mit Tiktok dem chinesischen Staat unsere Ausweisdaten auf dem Silbertablett an.»

Trotz der massiven Kritik schien die Ausgangslage Anfang Jahr aussichtslos. Knapp drei Wochen vor Ablauf der Frist hatten die Gegner etwas mehr als die Hälfte der Unterschriften zusammen. Nicht an die grosse Glocke hängt die Piratenpartei, dass auch Coronaskeptiker fleissig Unterschriften gesammelt haben. So weibelt Nicolas Rimoldi, Kopf von «Mass-Voll», seit Monaten gegen das «masslose» Gesetz. Er war am Donnerstag auch persönlich anwesend bei der Einreichung der Unterschriften. Die Massnahmengegner hatten bereits bei den Referenden gegen das Covid-19-Gesetz ihr Mobilisierungspotenzial unter Beweis gestellt.

Mediale Aufmerksamkeit

Dass es beim Referendum gegen das Jugendschutzgesetz am Ende trotzdem gereicht hat, liegt indes vor allem an der jüngsten Dynamik. Den Ausschlag gab wohl, dass sich Operation Libero eingeschaltet hatte. In einem Blogpost positionierte sich die Organisation klar gegen das neue Gesetz. «Wenn du es befremdlich findest, dass Alphabet, Amazon, Apple und Konsorten immer deinen amtlichen Ausweis sehen dürfen, dann unterzeichne auch du das Referendum.»

Wichtiger als die Aufforderung war die Reichweite von Operation Libero in den sozialen Medien. Bald schon griffen die Medien das Thema auf und warfen die Frage auf, ob das Gesetz zu einem Ausweiszwang im Internet führe. Die Argumente der Kampagne verfingen. In einer Umfrage von «20 Minuten» gaben 80 Prozent an, das Gesetz schiesse völlig über das Ziel hinaus.

Kaum durchsetzbar

Bestätigt sieht sich der Präsident der Piratenpartei, Jorgo Ananiadis. «Die digitalpolitische Naivität von Verwaltung und Parlament hat uns wieder mal ein unsägliches Gesetz beschert.» Im Parlament gebe es offensichtlich keine Politiker und keine Partei mit Digitalkompetenz.

Diesen Vorwurf lässt die Zürcher GLP-Nationalrätin Judith Bellaiche nicht gelten. «Das Gesetz sieht keine ausdrückliche Ausweispflicht vor.» Das sei auch nicht der Wille des Gesetzgebers. Eine Ausweispflicht lehnt die Geschäftsführerin des IT-Dachverbands Swico entschieden ab. Auch sei diese «kaum durchsetzbar» und von den Anbietern gar nicht gewünscht.

Datenschützer gibt Entwarnung

Bleibt die Frage: Wer hat recht? Müssen wir uns bald alle im Internet ausweisen, um ein Youtube-Video anzuschauen? Nein, urteilt der eidgenössische Datenschützer Adrian Lobsiger. Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verlange in diesem Fall, dass die datenschutzfreundlichste Lösung gewählt werde, heisst es in einer Stellungnahme.

Sprich: Es dürfen keine überflüssigen Daten gesammelt und für weitere Zwecke weiterbearbeitet werden. Im Gesetz stehe, dass Anbieter von Plattformdiensten lediglich «geeignete Massnahmen treffen» müssten, um Minderjährige vor ungeeigneten Inhalten zu schützen. Ähnliche Regelungen existierten bereits für Solarien oder Zigarettenautomaten.

Bellaiche geht davon aus, dass es auf eine Selbstdeklaration – wie beim Alkoholverkauf im Onlineshop – hinausläuft. Jugendschutzorganisationen würden dies dann stichprobenartig kontrollieren. Die GLP-Nationalrätin räumt ein, dass das Gesetz die Ausweispflicht nicht per se ausschliesst. Aus diesem Grund müsse die Verordnung, welche die Details regle, genau geprüft werden.