Die Kantonspolizei Aargau gewinnt einen Influencer-Award – doch ein Tiktoker klaut die Trophäe
«Absolut bombastisch», sagt der Polizeisprecher am Freitagabend. In der Hand ein Glaskubus, im Gesicht ein breites Lächeln.Soeben hat die Kantonspolizei Aargau den Swiss Influencer Award in der Kategorie Brands gewonnen. Dann aber gefriert sein Lächeln. Der Mann, der ihn gefragt hat, wie er sich nach dem Gewinn fühle, rennt weg. In der Hand der Glaskubus.
Der dreiste Dieb nennt sich Flavio Stucki, spricht Basler Dialekt, trägt einen Oberlippenbart und ist Influencer. Auf Instagram erreicht er rund 30’000 Follower. Auf Tiktok sind es einige Tausend mehr. Sein Content: freche Kurzvideos. Stucki ist erfolgreich. So erfolgreich, dass er auch für SRF Storys und Reels erstellt.
Und doch hat ihm das Kommunikationsteam der Kantonspolizei Aargau etwas voraus: Es hat den begehrten Preis gewonnen. Stucki nicht. Doch natürlich hat er die Trophäe nicht deshalb geklaut. Sondern für ein Video, das er am Montag verbreitet. Alles ist Content in der Welt des Flavio Stucki, Hauptsache dreist.
Die Kantonspolizei Aargau reagierte umgehend: «Gesucht nach Awarddiebstahl, @flaviostucki», schreibt sie auf Instagram über einem Bild des Influencers wie ein Fahndungsfoto. Sie weiss: Die simple Verlinkung auf den Tiktoker dürfte ihre Reichweite nochmals steigern. Vielleicht zeigt diese Episode mehr als jede Auszeichnung: Die Kantonspolizei Aargau kann Social Media.
Von «Hero Content» bis «Hook»
Das merkt auch, wer am Montag mit Corina Winkler telefoniert. Wenn die Leiterin Kommunikation der Kantonspolizei Aargau über Social Media spricht, dann fallen Begriffe wie «Hero Content» (Übersetzung: aufwendig produzierte Social-Media-Inhalte), «Corporate-Influencer-Strategie» (Markenbotschafter-Strategie) oder «Hooks» (ein fesselnder Einstieg in ein Video). Kurz: Winkler weiss, wovon sie spricht. Sie selbst sagt: «Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen es noch besser.»
Um den Erfolg zu verstehen, müssen wir zwei Jahre zurückblenden: Das Kommunikationsteam um Winkler erstellte damals eine neue Social-Media-Strategie. Prägten Ende 2022 noch Fotos und Bilder den Auftritt auf Instagram, so dominieren seither Videos mit schnellen Schnitten und Polizistinnen, die ihr Publikum direkt ansprechen. Schnell, frech, modern.
«Wir haben uns die Frage gestellt, wie wir neue Leute rekrutieren», sagt die Polizeisprecherin. «Die Antwort war: Wir müssen dorthin, wo unsere Zielgruppe ist.» Winkler nennt damit eines der drei Ziele, welche die Polizei auf Social Media zu erreichen versucht: die Rekrutierung. Aus diesem Grund sei man auch an Gamer-Messen wie der Fantasy Basel oder zuletzt dem Hero Festival in Bern präsent.
In der Präsenz an solchen Messen zeigen sich gleichzeitig die zwei anderen Ziele: mehr Reputation und Präventionsarbeit. So konnten Besucherinnen und Besucher am Polizeistand in Bern überprüfen, welche ihrer Daten online auffindbar sind.
Die drei Ziele zeigen sich auch in den Reels oder Tiktoks. Mal wird ein Diensthundeführer vorgestellt, mal der Fitnesstest bei der Aufnahmeprüfung für die Polizeischule gezeigt. Meist aber sprechen die Polizeisprecherinnen und -sprecher ihr Publikum direkt an. «Was passiert, wenn ich mir online ein Spring- oder Butterflymesser bestelle?», fragt ein Polizist in einem Video. In einem anderen warnt er vor Übergriffen durch Erwachsene auf Kinder im Internet, sogenanntes Cybergrooming: «Schütze dich, indem du nie deinen echten Namen angibst!»
Nur: Braucht es wirklich Polizisten als Influencer? Diese Frage stellten sich auch interne Kritiker. Zumindest am Anfang. Mittlerweile seien sie weitgehend verstummt, sagt Winkler. «Wir geniessen das volle Vertrauen der Führung.» Ausserdem sei Social Media ein günstiger Weg, mit Steuergeldern ein grosses Publikum zu erreichen. «Uns ist klar, dass wir eine Verantwortung tragen.» So werden gewisse Themen bewusst nicht mit Videos abgedeckt.
Und der Award? Der befindet sich immer noch im Besitz von Tiktoker Flavio Stucki. «Mit Betonung auf noch», sagt Winkler.