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Drei Maturitätsarbeiten ausgezeichnet: Von gefälschten Zeichnungen, struktureller Diskriminierung und japanischen Mangas

Die Aargauische Kulturstiftung Pro Argovia, die Aargauische Naturforschende Gesellschaft und die Historische Gesellschaft des Kantons Aargau prämierten am Freitag zum 21. Mal die besten Maturitätsarbeiten.

Aus den sechs Aargauischen Kantonsschulen und der Maturitätsschule für Erwachsene (AME) wurden gesamthaft 26 sehr gute Arbeiten aus den Bereichen MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik), Geisteswissenschaften, Musik und Gestaltung eingereicht. Eine Fachjury hat drei Arbeiten ausgezeichnet, die sich formell und inhaltlich nochmals von allen anderen abheben:

Tatjana Gligorevic, Alte Kantonsschule Aarau: Auf Tuchfühlung mit Vermeer

Tatjana Gligorevic befasst sich in ihrer Maturaarbeit mit einer «kunstgeschichtlichen Sensation». Vor einigen Jahren wurde in einer Mappe des Zürcher Kunstsammlers A. Studer aus dem Jahre 1878 eine vermutlich von Johannes Vermeer stammende Zeichnung gefunden. Nach eingehender wissenschaftlicher Untersuchung durch ein Berner Restauratoren-Team und dem Beizug des Fragmentes eines handschriftlichen Gemäldekataloges alter niederländischer Meister von 1773 entpuppte sich Vermeers Zeichnung als echter Entwurf seines verschollenen Gemäldes «Die neue Briefleserin».

Es gelinge Gligorevic, den wissenschaftlichen Befund der Echtheit der Zeichnung – unter «Beilage» der Original-Artefakte und einer langen Reihe eigener zeichnerischer Studien – nachvollziehbar und absolut glaubhaft darzulegen, schreibt die Jury. Das Faszinierendste an Tatjana Gligorevics Leistung sei, dass sie diese ganze Geschichte, die fiktive Geschichte eines Fälschungsversuches rund um ein fingiertes Vermeer-Gemälde, frei erfunden und sämtliche «Beweisstücke» selbst gefälscht hat. «Es sind dies Vermeers Zeichnung, die Mappe des Sammlers, das Fragment des Gemäldekataloges, der wissenschaftliche Artikel und ein Rekonstruktionsversuch des verschollenen Gemäldes.»

Ellen Sophie Winiger, Kantonsschule Wettingen: Strukturelle Diskriminierung von Autorinnen in der Schulliteratur

Ellen Sophie Winiger setzt sich mit ihrer Rolle als Frau in der Gesellschaft auseinander und stellt fest, dass sie während ihrer Zeit an der Kantonsschule im Deutschunterricht nie ein Buch einer Autorin gelesen hat. Sie geht darum in ihrer Maturarbeit unter anderem diesen Fragen nach: Welche Bücher wurden in den letzten vier Jahren an der Kantonsschule Wettingen im Deutschunterricht gelesen? Wie sieht das prozentuale Geschlechterverhältnis von Autorinnen und Autoren aus? Wie sieht die Geschlechterverteilung bei Literaturpreisverleihungen aus?

«Bei ihrer Recherche ging Ellen Sophie Winiger sehr strukturiert vor. In einer quantitativen Analyse befragte sie Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler der Abschlussklassen nach ihren Literaturlisten», heisst es im Jury-Bericht. Dabei stellte Winiger fest, dass die neun Lehrpersonen, die ihre Listen zur Verfügung gestellt haben, mit ihren Klassen in den vier Jahren bis zur Matur null bis drei Bücher von Autorinnen gelesen haben und auch bei den Maturlisten der Schülerinnen und Schüler nur gerade 9 Prozent der gelesenen Werke aus der Feder von Autorinnen stammen.

Anna Döring, Kantonsschule Wohlen: Aspekte der Disziplin nach Michel Foucaults «Surveiller et punir» in Kaiu Shirais «The Promised Neverland»

«Was für ein verwegener Ansatz mit welch eindrücklichem Ergebnis!», schreibt die Jury in ihrem Bericht zur Arbeit von Anna Döring. Die Lehre eines europäischen Philosophen werde auf ein japanisches Manga angewendet und aufgezeigt, wie die Fantasiewelt eines Comics eine in ganz anderem Zusammenhang entstandene und hergeleitete Philosophie abbildet.

Woher immer die Autorin die Idee dieser Gegenüberstellung hatte, verwirklicht sie ganz unterschiedliche Dinge: Die philosophische Lehre des «surveiller et punir» von Michel Foucault wird über eine Comic-Abenteuergeschichte gestülpt, und damit werden nicht nur zwei ganz verschiedene geisteswissenschaftliche Genres, sondern auch zwei völlig unterschiedliche Kulturkreise im philosophischen Kontext miteinander verknüpft.

Feier in der Kantonsschule Zofingen

Die traditionelle Prämierungsfeier fand dieses Jahr in Zofingen an der Kantonsschule statt. Regierungsrat Alex Hürzeler richtete im Namen des Regierungsrats des Kantons Aargau ein Grusswort an die Maturandinnen, Maturanden und Gäste aus. (az/kob)