Judoka Fabienne Kocher ist Aargauer Sportlerin des Jahres
2021 war das bisher erfolgreichste Jahr in der Karriere von Fabienne Kocher. Nun wird die Judokämpferin für ihre Leistungen noch einmal belohnt und gewürdigt, indem die 28-Jährige vom Publikum als neue Aargauer Sportlerin des Jahres gewählt wurde. Kocher setzte sich vor der Paraschwimmerin Nora Meister und Beachsoccerspieler Noel Ott durch.
Kocher, die in Stilli wohnt und im Nationalen Leistungszentrum in Brugg trainiert, gewann in der vergangenen Saison WM-Bronze. Als erst zweite Schweizerin überhaupt. Zudem sicherte sie sich damit den Startplatz an den Olympischen Spielen in Tokio, wo sie als Fünfte erneut überzeugte.
So komisch es klingt: Ohne Corona wäre die Karriere von Fabienne Kocher vielleicht anders verlaufen. 2020, als die Olympischen Spiele in Tokio eigentlich hätten stattfinden sollen, hatte sie die Selektionskriterien zwar erfüllt. Doch weil im Judo nur eine Athletin pro Nation und Gewichtsklasse startberechtigt ist und Evelyne Tschopp im Ranking damals vor ihr lag, hätte Kocher wohl das Nachsehen gehabt und wäre Zuschauerin gewesen.
Doch dann kam das Jahr 2021. Und genau 20 Jahre nachdem Fabienne Kocher als Achtjährige das Judo für sich entdeckte, erlebte sie einen Höhenflug wie nie zuvor in ihrer Karriere. Zuerst gewann sie als Dritte des Grand Slams in Tashkent erstmals an einem Turnier der höchsten Kategorie eine Medaille. Dann wurde sie an der Weltmeisterschaft in Budapest Dritte. Und quasi als Bonus überholte sie Tschopp im Ranking.
So durfte Kocher die Schweiz in Tokio vertreten und damit erfüllte sich in Japan, im Geburtsland des Judo, ihr Traum von den Olympischen Spielen. Ein Traum, der geweckt wurde, als sie vor zwölf Jahren als 16-Jährige an den Olympischen Jugendspielen teilnahm. Dass die Erfüllung dereinst in Tränen der Enttäuschung enden würde, wusste sie damals noch nicht.
Die Enttäuschung kam wie ein Tsunami
In Tokio gewann Kocher bis in den Halbfinal alle Kämpfe. Dann unterlag sie zweimal in Serie. Statt einer Olympiamedaille blieb ihr Rang fünf und ein olympisches Diplom als Trost. Später schrieb sie auf ihrer Website über den Moment, als klar wurde, dass sie ohne Medaille bleiben würde:
«Mein Kopf war von einer Sekunde auf die nächste leer, keine Emotionen oder Gefühle, nur ein leises Nein, Nein, Nein. Nach dieser Sekunde, die sich für mich wie eine Ewigkeit anfühlte, kam die Enttäuschung wie ein Tsunami in mir auf. Die Tränen schossen mir in die Augen.»
Es brauchte Zeit, bis der Stolz bei ihr überwog.
Doch dieser Ehrgeiz, mehr zu wollen, zeichnet Spitzensportlerinnen aus. Und steht am Ursprung von grossen Erfolgen. Kein Wunder, sagt sie: «Ich bin hungrig auf mehr. Ich war so knapp davor, jetzt will ich diese Medaille erst recht.» Kocher beschreibt sich als willensstark, als eine Athletin, die über hohe Selbstdisziplin verfügt und dem Erfolg alles unterordnet. «Ich bin der Überzeugung, dass mit etwas Talent, viel Fleiss, einem eisernen Willen und einem Quäntchen Glück jeder Traum in Erfüllung gehen kann.»
Kocher, die im Zürcher Oberland aufgewachsen ist, aber seit sieben Jahren im aargauischen Stilli lebt, um im Nationalen Leistungszentrum in Brugg zu trainieren, war schon als Nachwuchssportlerin erfolgreich. Sie wurde U21-Europameisterin und gewann in der gleichen Altersklasse je zweimal WM- und EM-Bronze. Hinzu kommt ein dritter Rang an der U23-EM.
Doch dann, genau als der Übertritt zur Elite erfolgte, wurde Kocher regelrecht vom Pech verfolgt. Gleich viermal in Folge verletzte sie sich am linken Knie. Zweimal riss das Kreuzband, zweimal verletzte sie sich am Meniskus. Um überhaupt wieder Vertrauen in ihr Knie zu erlangen, lernte sie spezielle Visualisierungstechniken. Ans Aufgeben dachte sie nie.
Ein würdiger Zwischenstopp
Einfach war es trotzdem nicht. Weil Judo in der Schweiz eine Randsportart ist, hat es Kocher nicht leicht, ihr Leben zu finanzieren. Zwar decken die Beiträge von Swiss Olympic, der Förderbeitrag der Sporthilfe und Sponsoren Kochers wichtigste Auslagen. Aber etwas übrig bleibt nicht.
Für den nächsten Olympiazyklus, der 2024 mit den Sommerspielen in Paris endet, sucht die 28-jährige Psychologiestudentin darum weitere Unterstützer. Die jüngsten Erfolge sind da zwar eigentlich ein starkes Argument. Von Anfragen überhäuft wird Fabienne Kocher allerdings nicht.
Dabei ist sie auch ins neue Jahr erfolgreich gestartet. Am Grand-Slam-Turnier in Paris wurde Kocher Dritte. Und doch sieht sie bei sich selbst noch Verbesserungspotenzial. Sie glaubt, dass eine Olympiamedaille in Paris möglich ist. Jetzt ist Fabienne Kocher Aargauer Sportlerin des Jahres. Es ist ein würdiger Zwischenstopp auf ihrem Weg bis auf den Olymp.
Das Wahlergebnis in Zahlen: 1. Fabienne Kocher (Judo) 1317 Stimmen. 2. Nora Meister (Paraschwimmen) 1091. 3. Noel Ott (Beachsoccer) 964. 4. Matthias Kyburz (OL) 822. 5. Michelle Heimberg (Wasserspringen) 633. 6. Team Tirinzoni (Curling) 362.