Neue Hiobsbotschaft aus der deutschen Wirtschaft: VW will mindestens drei Werke schliessen und Zehntausende entlassen
Wer für Volkswagen tätig ist, durfte sich lange Zeit als Angehöriger einer Arbeiter-Aristokratie fühlen: Ein hauseigener Tarifvertrag sorgte dafür, dass VW-Angestellte besser entlohnt wurden als die meisten anderen Arbeiter in Deutschland; zusätzlich sprach der Konzern vor über 30 Jahren eine Beschäftigungssicherung aus, wodurch die Angestellten an den deutschen Standorten des Konzerns praktisch unkündbar wurden.
Was derzeit geschieht, mag sich für manchen Arbeiter wie eine Vertreibung aus dem Paradies anfühlen:Bereits vor acht Wochen hatte die Unternehmensleitung die Beschäftigungsgarantie aufgekündigt und ein Sparprogramm in Aussicht gestellt.Wie weit die Pläne tatsächlich gehen, wurde am Montag bekannt: Mindestens drei deutsche VW-Werke wolle die Konzernspitze aufgeben, sagte die Betriebsratschefin Daniela Cavallo vor Arbeitern im Stammwerk in Wolfsburg. Es wäre das erste Mal, dass das Unternehmen in Deutschland ganze Standorte streichen würde.
Die Arbeiter hoffen auf die Hilfe der Politik
Insgesamt, so Cavallo, plane der Konzern den Abbau mehrerer zehntausend Arbeitsplätze. Ganze Abteilungen sollten geschlossen oder ins Ausland verlegt werden. Doch auch diejenigen unter den 120’000 deutschen VW-Mitarbeitern, die bleiben dürften, müssten sich auf Einbussen gefasst machen: Die Löhne sollten quer durch alle Abteilungen und Hierarchiestufen um 10 Prozent sinken, Erhöhungen in den nächsten beiden Jahren ausgeschlossen werden. Beziehe man die Inflation mit ein, bedeute dies eine Senkung der Reallöhne um 18 Prozent, rechnet der Betriebsrat vor, der seinerseits eine Lohnerhöhung um 7 Prozent fordert.
Ihren Bericht aus dem Verhandlungsraum verband Cavallo mit einer Kampfansage. Die Konzernspitze habe «alles in Flammen gesetzt» und riskiere eine Eskalation. Damit dürfte die Betriebsratsvorsitzende mögliche Streiks meinen. «Wir werden das tun, was eine Belegschaft tun muss, wenn sie um ihre Existenz fürchtet», erklärte sie.
Ob die Sparpläne tatsächlich in dem Umfang umgesetzt werden, den Cavallo skizzierte, ist allerdings noch unklar; das Unternehmen wollte sich am Montag nicht äussern. Die Rede der Betriebsratschefin dürfte auch ein Versuch gewesen sein, Druck auf die Geschäftsleitung auszuüben: Am Mittwoch steht die nächste Verhandlungsrunde über einen neuen Tarifvertrag für die deutschen VW-Beschäftigten an.
Im Machtkampf mit der Konzernspitze können Cavallo und ihre Mitstreiter womöglich auf die Hilfe der Politik zählen: Bundeskanzler Olaf Scholz sei der Ansicht, «dass mögliche falsche Managemententscheidungen aus der Vergangenheit nicht zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen dürfen», sagte ein Regierungssprecher am Montag. Der Kanzler werde mit der Unternehmensleitung im Gespräch bleiben.
VW steht deutlich schlechter da als Mercedes und BMW
Was VW angeht, verfügt die Politik über einen Hebel: Das SPD-geführte Bundesland Niedersachsen ist der zweitgrösste Aktionär des Konzerns und verfügt über 20 Prozent der Stimmrechtsanteile. Jeder zweite deutsche VW-Arbeiter arbeitet im niedersächsischen Wolfsburg; von den zehn deutschen Werken befinden sich sechs in Niedersachsen.Die Landesregierung in Hannoverdürfte nun darauf hinwirken, dass die niedersächsischen Standorte möglichst glimpflich davonkommen. Leicht dürfte dies nicht werden: Das Werk in Osnabrück gilt als besonders gefährdet, und auch in Wolfsburg bestehen massive Überkapazitäten.
Volkswagens Probleme spiegeln jene der gesamten deutschen Automobilbranche wider:Beim Umstieg auf Elektromobilität sind VW, BMW und Mercedes gegenüber chinesischen Konkurrenten zurückgefallen; hinzu kommen hohe Lohn- und Energiekosten.Dass der Wolfsburger Konzern besonders schlecht dasteht, hat auch mit dem Staatseinfluss zu tun: Politisch gewollte Vergünstigungen für die Beschäftigten führten zu niedrigen Gewinnmargen. Dass sich etwas ändern muss, bestreiten auch Arbeitnehmervertreter nicht: VW müsse die «Technologieführerschaft» zurückerobern, sagt Betriebsratschefin Cavallo.